Mittwoch, 11. Oktober 2023

Das Erbe der Auswanderung: Formen des Deutschen als Minderheitensprache

Wer in der Welt unterwegs ist, kann selbst an entlegenen Orten auf Menschen treffen, die eine Varietät des Deutschen sprechen: In Brasilien verwenden die Nachfahren von Auswanderern das Hunsrückisch – eine Mundart, die auf Dialekte in Rheinland-Pfalz zurückgeht. Auch in Texas, Usbekistan, Namibia oder sogar auf Papua-Neuguinea finden sich Formen des Deutschen als Minderheitensprache vor dem Hintergrund vergangener Migrationsprozesse. Die internationale Bandbreite an sprachwissenschaftlicher Forschung zu solchen Konstellationen versammelt nun vom 10. bis 13. Oktober die Fachtagung „German Abroad – Extraterritoriale Varietäten des Deutschen weltweit“.

Gastgeber sind Prof. Dr. Sebastian Kürschner (Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft an der KU) und Prof. Dr. Claudia Maria Riehl (Leitung des Instituts für Deutsch als Fremdsprache an der LMU). Ziel der internationalen Konferenzreihe, deren fünfte Auflage nun an KU und LMU stattfindet, ist es, etablierte und junge Forscherinnen und Forscher zusammenzubringen, die sich mit dem Deutschen als weltweiter Herkunftssprache außerhalb des deutschsprachigen Raums befassen.

„Herkunftssprachen und Mehrsprachigkeit schaffen enge Verbindungen zwischen Menschen. Wir untersuchen die Funktion der Sprache in mehrsprachigen Gemeinschaften, ihre grammatikalischen Eigenschaften und die aktuellen Entwicklungen in verschiedenen Gesellschaften der Welt“, erklärt Prof. Dr. Sebastian Kürschner. Deutsch habe sich bereits seit dem frühen Mittelalter durch Ansiedlungsprozesse zunächst vor allem in Ost- und Südeuropa ausgebreitet. Im Zuge von Auswanderungsbewegungen über den Atlantik sei vor allem Nordamerika zunächst stark deutschsprachig geprägt gewesen. Dort gebe es jedoch mittlerweile nur noch wenige Minderheiten, die über Sprache klar definierbar seien. In Südamerika hingegen bestehe speziell in Brasilien heute noch eine große Gruppe an Deutschsprachigen. Andernorts war die Auswanderung eng mit staatlich organisiertem Kolonialismus verbunden. So gibt es in Namibia eine vergleichsweise große Zahl an Menschen, die Deutsch sprechen. In Papus-Neuguinea wiederum existiert mit „Unserdeutsch“ die einzige deutsche Kreolsprache. Sie geht wiederum zurück auf den Kontakt zur englisch-basierten Kreolsprache „Tok Pisin“. Entstanden ist die Sprache unter mehrsprachigen Kindern in einem Internat, in dem sie von deutschen Ordensschwestern in Hochdeutsch unterrichtet wurden. Sie enthält viele deutsche Wörter, hat unterscheidet sich aber in der Grammatik stark vom Deutschen. Dem Satz „Um drei Uhr hole ich Dich ab“ entspricht zum Beispiel „Drei Uhr i komm aufpicken du“. Wenige Nachfahren dieser Kinder, heute vor allem in Australien wohnhaft, sprechen heute noch das „Unserdeutsch“, das unter anderem bei der Fachtagung thematisiert wird.

Das generelle sprachwissenschaftliche Interesse an solchen und weiteren Konstellationen ist vielfältig. Die Forschenden untersuchen zum Beispiel, welchen Einfluss der Kontakt zur Sprache des jeweiligen Landes für die Weiterentwicklung der jeweils verwendeten Varietät des Deutschen hat. „Dabei ist es schwierig, genau zu trennen zwischen den Auswirkungen dieses Kontaktes und der Weiterentwicklung, die Sprache per se ohnehin vollzieht“, erklärt Professor Kürschners wissenschaftlicher Mitarbeiter David Hünlich. „Darüber hinaus interessiert uns, was die Sprache für die Sprechenden selbst im Sinne von Identität bedeutet, welche Faktoren zu Spracherhalt und Sprachverlust beitragen und welche Sprachpolitik im jeweiligen Land vorherrscht.“ So wurde etwa in Brasilien, wo Professor Kürschner unter anderem zum Hunsrückisch geforscht hat, im Zuge des Zweiten Weltkriegs Deutschunterricht verboten, so dass der Dialekt nur privat an die nächste Generation weitergegen wurde. Dort hat sich Deutsch vor allem im ländlichen Raum erhalten und wird heute kaum mehr schriftlich genutzt. In Nordamerika wiederum, einem Schwerpunkt von Hünlich, finden Varietäten mit deutschen Wurzeln insbesondere noch in religiös geprägten Gemeinschaften Gebrauch. In Namibia wiederum existieren deutschsprachige Schulen mit einem engen Kontakt nach Deutschland. So reicht der Charakter des Deutschen weltweit von eher dialekthaftem Gebrauch bis hin zu Varietäten, die nah am aktuellen Standard-Deutsch sind. Entsprechend interessiert die Forschenden deshalb auch, wie sich zum Beispiel Dialekte weiterentwickeln, die vom Standard-Deutsch abgekoppelt sind. Methodisch ist dabei zum Teil herausfordernd, dass die Überlieferung vorwiegend mündlich erfolgt ist.

Doch auch ohne unmittelbare institutionelle Anbindung an das Ursprungsland darf man die Varietäten des Deutschen im Ausland nicht als „Zeitkapsel“ missverstehen, in denen sich eine Sprache aus früheren Zeiten unverändert erhalten hat: „Durch den Kontakt mit den Sprachen des jeweiligen Landes weisen auch solche Varianten Innovationen auf. Sprache wandelt sich immer“, schildert Kürschner. Selbst das in Brasilien verwendete Hunsrückisch werde so nirgends im deutschen Hunsrück gesprochen, weil es aus dem Kontakt unter Einwanderern aus verschiedenen deutschen Regionen entstand und im Umfeld von Portugiesisch als Sprache des sozialen Aufstiegs Verwendung fand. Doch zumindest manche Phrasen haben sich aus vergangenen Zeiten erhalten. „Im 19. Jahrhundert war es wohl üblich, anstatt des Wortes ,viel‘ die Wendung ,eine Masse‘ zu gebrauchen. Das ist bis heute im Texas-Deutschen ein gängiger Begriff. Vermutlich auch unterstützt vom englischen ,a lot‘“, schildert David Hünlich.

In vielen Ländern, ist das Deutsche auch mit einer schmerzhaften Kolonialgeschichte verbunden – etwa in Namibia, wo im frühen 20. Jahrhundert ein Genozid an den Herero und Nama durch die deutsche Kolonialmacht verübt wurde. „Dessen ist sich die heute etwa 20.000 Personen umfassende deutsche Sprachgemeinschaft in Namibia bewusst. Als einzige übergreifende Amtssprache wird in Namibia Englisch verwendet, hinzu kommen acht Nationalsprachen als Ausdruck der Vielfalt des Landes, zu denen auch Deutsch zählt“, erläutert Professor Kürschner. Südamerika wiederum sei zwar im Zweiten Weltkrieg und in der Zeit danach Zufluchtsort für Nationalsozialisten gewesen. „Sprachwissenschaftlich ist dieser Kreis jedoch irrelevant. Denn die Ursprünge des Deutschen in Südamerika liegen in den Auswanderungsbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert“, betont Kürschner. Im Gegensatz etwa zum Namibia der Kolonialzeit hätten die Deutschen dort nicht zu den Privilegierten gehört, die Kontakte in das Herkunftsland pflegen konnten, sondern seien wegen Armut ausgewandert. Doch die heutige junge Generation interessiere sich verstärkt für die Wurzeln ihrer Vorfahren. Mit der Entwicklung des Internets und verstärkten Reisemöglichkeiten sei die sprachliche Anbindung an das deutschsprachige Europa heute leichter möglich als früher. Generell seien die Sprachminderheiten unterschiedlich stabil, durch das mehrsprachige Umfeld jedoch in unterschiedlichem Tempo auf dem Rückzug. Ein zurückgezogenes, rein deutschsprachiges Leben sei nicht möglich, zumal sich auch in Deutschland die Sprache mit der Gesellschaft rasant wandele. „Menschen treffen in einem solchen Umfeld pragmatische Entscheidungen darüber, welche Sprachen sie an ihre Kinder weitergeben“, so Kürschner.

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