Samstag, 12. Oktober 2019

Bereits Vorschulkinder mit Übergewicht leiden unter Bluthochdruck


Madrid - Übergewicht führt schon bei jüngeren Kindern zu einem mehr als zweifach erhöhten Risiko für Bluthochdruck. Zu diesem Ergebnis kommt eine spanische Studie, für die 1796 Kinder im Alter von vier Jahren und erneut mit sechs Jahren untersucht worden waren.
Der Fachartikel einer Gruppe um Iñaki Galán von der Universidad Autonoma de Madrid (Madrid/Spanien) ist in der Fachzeitschrift «European Journal of Preventive Cardiology» erschienen. Den Göttinger Kinderkardiologen Martin Hulpke-Wette, der nicht an der Studie beteiligt war, wundert das Ergebnis aufgrund seiner Praxiserfahrungen nicht.

«Manche Kinderärzte glauben, dass die Folgen von Übergewicht und Fettleibigkeit erst im Jugendalter auftreten, aber unsere Studie zeigt, dass sie sich irren», wird Galán in einer Mitteilung der European Society of Cardiology zitiert, die die Fachzeitschrift herausgibt. Diese Haltung behindere die Vorbeugung und die Kontrolle dieses Gesundheitsproblems.
Galán und sein Team hatten sich an einer Studie zur Fettleibigkeit im Kindesalter beteiligt, bei der Kinder aus der Region Madrid wiederholt untersucht wurden. Dabei wurden bei den vierjährigen Kindern Größe und Geschlecht erfasst sowie die Lebensumstände der Mutter und einige andere Faktoren registriert. 32 Kinderärzte bestimmten das Gewicht, den Bauchumfang und den Blutdruck. Dieselbe Untersuchung erfolgte zwei Jahre später.
Die Datenanalyse zeigte unter anderem, dass das Risiko eines Kindes, das mit vier und sechs Jahren übergewichtig oder fettleibig war, zwei- bis zweieinhalbmal so groß war, an Bluthochdruck zu leiden wie das eines normalgewichtigen Kindes.

Anders sah es bei Kindern aus, deren Werte im Alter von vier Jahren über dem Normalgewicht lagen, die aber mit sechs Jahren kein Übergewicht mehr hatten: Ihre Blutdruckwerte waren mit denjenigen Kindern vergleichbar, die in beiden Altersstufen Normalgewicht hatten.
In einem Kommentar zu der Studie betont Eero Haapala von der Universität Jyväskylä in Finnland, dass Bluthochdruck einer der wichtigsten Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist. Er führe bei Erwachsenen jährlich zu über neun Millionen vorzeitigen Todesfällen.

Haapala empfiehlt drei Verhaltensweisen, die das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verringern: sich genügend zu bewegen, sich gesund zu ernähren und nicht zu rauchen. Nach dem Ergebnis der aktuellen Studie würden die ersten beiden Empfehlungen auch schon für kleine Kinder gelten.
Martin Hulpke-Wette, der in Göttingen eine Präventionspraxis für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen betreibt, hält die Studie für sehr wichtig: Sie belege, was er aus seinem Alltag in der Arztpraxis bereits kenne: dass Übergewicht und Bluthochdruck bereits bei Kinder wichtige Faktoren sind, die die Gesundheit beeinträchtigen.
«Die Studie ist aufwendig und gut gemacht», sagt Hulpke-Wette. Lediglich die Blutdruckmessmethode könne zu «Praxisbluthochdruck» führen, also einem erhöhten Blutdruck, weil der junge Patient aufgeregt ist.

Der Göttinger Kinderarzt sieht im Hinblick auf Übergewicht und Bluthochdruck einen dringenden Handlungsbedarf in der Politik: Viele Lebensmittel, vor allem die speziell für Kinder angebotenen, enthielten zu viel Zucker. Das sei den meisten nicht bekannt. «Ich muss bei jedem Patienten eine Ernährungsberatung machen», hebt Hulpke-Wette hervor. Die Diabetes Typ II werde fast nur durch Fehlernährung ausgelöst und verursache erhebliche Gesundheitskosten.

Quelle: dpa  16.06.2019

Mittwoch, 7. August 2019

Artenvielfalt schwindet schneller als bislang angenommen

Die Zerstörung wichtiger Lebensräume für Pflanzen und Tiere weltweit schreitet noch schneller und in größerem Ausmaß voran als bislang angenommen. Das zeigt die neue Untersuchung eines internationalen Forschungsteams, an dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Hamburg beteiligt sind. Die Forschenden haben Prognosen für 33 artenreiche und gleichzeitig besonders bedrohte Gebiete weltweit erstellt, für die sogenannten „Hotspots“ der Biodiversität.
„Alle Hotspots zusammen entsprechen nur 2,5 Prozent der Erdoberfläche, beherbergen aber über 50 Prozent aller Pflanzen- und Wirbeltierarten der Erde“, erklärt Livia Rasche vom Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) an der Universität Hamburg. Erstmals berücksichtigte die Hauptautorin der Studie die Auswirkungen der beiden wichtigsten Faktoren: Landwirtschaft und Klimawandel. Die Ergebnisse erschienen jetzt in der Fachzeitschrift „Conservation Letters“. 

„Unsere Studie zeigt für die kommenden 30 Jahre, dass die Folgen der Ausbreitung landwirtschaftlicher Fläche gravierend sind, weil sie die natürlichen Lebensräume unmittelbar zerstören“, sagt Rasche. So verlieren neun bis dreizehn der 33 Hotspots ihre gesamte unberührte Vegetation. Der Klimawandel hingegen wirkt nur in zwei bis sechs Hotspots auf mehr als die Hälfte der Fläche signifikant. Klimaänderungen beeinträchtigen die Artenvielfalt also eher langfristig, während die Landwirtschaft kurzfristig große Zerstörung anrichten kann. 

„Stark gefährdet sind unter anderem Bereiche auf den Philippinen, den Karibischen Inseln, Madagaskar, im tropischen Afrika und im Amazonas-Regenwald, wo besonders viele Pflanzenarten heimisch sind. Dort wächst die Bevölkerung rasant und benötigt immer größere Flächen für die Landwirtschaft“, sagt Prof. Jan Christian Habel von der Universität Salzburg, der ebenfalls Hauptautor der Studie ist. Gleichzeitig stehen nur wenige artenreiche Gebiete unter Naturschutz. 

Die Ergebnisse zeigen zudem, dass gerade jene Hotspots besonders unter Druck stehen, in denen ohnehin nur noch wenig intakte Pflanzenwelt vorhanden ist. „In mindestens neun Hotspots sind alle der nur dort vorkommenden Arten vom Aussterben bedroht“, so Rasche. 

„Die Lage ist viel ernster als bisher angenommen und Schutzmaßnahmen sind dringend nötig“, schlussfolgert Habel. Die Regierungen der Welt sollten sich deshalb zu einem nachhaltigen Landmanagement verpflichten. „Dies muss so umgesetzt werden, dass die Versorgung der Menschen, der Klimawandel und die biologische Vielfalt gemeinsam berücksichtigt werden“, ergänzt Rasche. 
Birgit Kruse Referat Medien- und Öffentlichkeitsarbeit            Universität Hamburg
Weltkarte der Biodiversitäts-Hotspots: Die Karte zeigt den Einfluss von Klimawandel und Landwirtschaft in den Hotspots bis zum Jahr 2050. Die rot gefärbten Bereiche sind dabei besonders gefährdet – zum Beispiel die Philippinen, Madagaskar oder die Karibischen Inseln. Blaue Hotspots sind nicht oder nur wenig gefährdet.
Stark gefährdet sind unter anderem Lebensräume im tropischen Afrika und im Amazonas-Regenwald, wo besonders viele Pflanzenarten heimisch sind.
Stark gefährdet sind unter anderem Lebensräume im tropischen Afrika und im Amazonas-Regenwald, wo besonders viele Pflanzenarten heimisch sind.
Foto: Boudewijn Huysmans on Unsplash


Freitag, 12. Juli 2019

Die Landwirtschaft mit Hanf intelligenter gestalten

Wie könnte eine intelligente Landwirtschaft ohne Erosion aussehen?

Eine intelligente Landwirtschaft müsste darauf abzielen, sich die eigenen Ressourcen zu erhalten. Zum anderen müsste ein Großteil vom Bedarf innerhalb der Region produziert werden, um den Logistikaufwand zu minimieren. Weiterhin soll nicht allein auf Bodenerhalt, sondern auch das Wohl von Landarbeiten und Nutztieren geachtet werden. Eine intelligente Landwirtschaft müsste also vom globalisierten Größenwahn Abstand nehmen. Kleinere Flächen, kleinere Stallungen und ein regionales Denken müssen die ökologische Landwirtschaft bestimmen.
Nicht nur die landwirtschaftlichen Flächen müssen kleiner werden, auch die Bewirtschaftung muss sich ändern. Es gibt nicht allein eine Auslaugung der Böden oder die Wassererosion. Ein riesiges Problem ist die Winderosion. Wenn aufgelockerte nackte Böden trocken liegen, kann ein einziger heftiger Sturm Unmengen vom fruchtbaren Boden davon tragen. Viele Landwirte sähen auch deswegen nach einer Ernte sofort eine andere Feldfrucht oder einen Gründünger. Hülsenfrüchte ziehen als Gründünger Stickstoff aus der Luft und lagern diesen im Boden ein, den sie vor der Erosion schützen.
Noch besser wäre hingegen, wenn nicht mehr gepflügt wird und selbst die Bodenbearbeitung unterbleibt, um Bodenerosion zu vermeiden. Es gibt immerhin die Möglichkeit der Direktsaat. Es wird jedoch auch deswegen gepflügt, um die Samen von Unkräutern unter die Erde zu heben. Die Alternative dazu wäre, wenn mit der Fruchtfolge Pflanzen angebaut werden, die schneller als die Unkräuter wachsen und diese damit ersticken.
Das vielleicht größte Problem mit der Bodenerosion liegt aber möglicherweise in der Versalzung ganzer Landstriche. Wenn auf mageren Böden unentwegt massiv gedüngt wird, dann landet ein ganzer Teil der Nährsalze im Grundwasser. Wenn dieses jedoch hochsteigt oder wiederum zur Bewässerung abgepumpt wird, dann verdunstet es an der Oberfläche, das Salz bleibt zurück und die Flächen sind unfruchtbar.

Der heutige Irrsinn am Beispiel von Baumwolle und Hanf

Baumwolle hat sich als Textilpflanze nur deswegen durchgesetzt, da sie maschinell gut verarbeitet und im sogenannten Baumwollgürtel (innerhalb dieser Zonen gedeiht Baumwolle) durch Sklavenarbeit günstig angebaut werden konnte. Dabei ist Baumwolle in Monokulturen ein richtiges Umweltproblem. Es werden Unmengen von Wasser, Dünger und Pestiziden benötigt, um gute Erträge zu erwirtschaften. Dort, wo seit Jahrzehnten überwiegend Baumwolle angebaut wird, ist das Grundwasser häufig sehr belastet und schadet den Einheimischen. Diese kommen auch bei der Feldarbeit mit den Pestiziden in Berührung sowie Giftstoffe in den Textilfasern als Reste enthalten bleiben.
Hanf wächst überall, wo Feldfrüchte gedeihen. Er wächst so hoch, dass Unkräuter erstickt werden. Es wird weniger Wasser oder Dünger benötigt, auf Pestizide kann praktisch komplett verzichtet werden. Die Hanfpflanze schützt damit auch besser gegen die Erosion durch Wind oder Versalzung. Die Textilfasern sind zudem langlebiger und wirken gegen Körpergeruch, da die verantwortlichen Bakterienstämme beim Schwitzen nicht aufkommen.
Die Hanfpflanze hat weitere entscheidende Vorteil gegenüber der Baumwolle oder anderen Feldfrüchten. Die Böden werden nicht allein geschont, sondern durch das lockernde Wurzelwerk sogar regeneriert. Hanf verträgt sich mit sich selber und kann selbst über Jahre als Monokultur ohne Fruchtwechsel angebaut werden. Es handelt sich um eine regelrechte Biomasse-Pflanze, die in allen Lebensbereichen verwendet werden kann. Doch dieser Hanf ließ sich einst nicht so wirtschaftlich verarbeiten und wurde für einige Rohstoffe auch zum Konkurrenten, womit das Verbot von Marihuana mächtige Verbündete fand und erst auf den Weg gebracht werden konnte. Das ist jedoch ein anderes Thema.
Fehlentwicklungen wie Bodenerosion beheben
An diesem Beispiel von Baumwolle im Vergleich zu Hanf erkennt jeder direkt, dass es in der industrialisierten Landwirtschaft einige Fehlentwicklungen gibt, die sehr schnell behoben sein könnten. Bei anderen Fehlentwicklungen wie dem gestörten Nährstoffkreislauf, der Erosion oder dem Zwang auf Billig wären größere Anstrengungen nötig, um aus der industrialisierten Landwirtschaft eine intelligente Landwirtschaft zu machen, die ökologisch aufbaut. Die Vermeidung von Bodenerosion bleibt dabei letztendlich der entscheidende Faktor, um künftig noch satte Ernten einzufahren.

Montag, 8. Juli 2019

Amerikanische Faulbrut seit Jahren ungelöstes Problem

Greifswald/Hohen Neuendorf - Die Amerikanische Faulbrut richtet in Bienenstöcken regelmäßig große Schäden an.

«Ich sehe die Krankheit als ein seit Jahrzehnten ungelöstes Problem», sagt die stellvertretende Direktorin des Länderinstituts für Bienenkunde in Hohen Neuendorf bei Berlin, Elke Genersch. In den vergangenen Jahrzehnten schwankte die Zahl der Ausbrüche in Deutschland demnach zwischen 140 in 2018 und 440 im Jahr 1998. Auf einen Rückzug der Seuche ließen die Zahlen nicht schließen: Es gebe seit den 1950er Jahren ein stetes Auf und Ab der anzeigepflichtigen, für den Menschen aber ungefährlichen Krankheit, erklärt die Wissenschaftlerin.
Am Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems bei Greifswald sieht Marc Schäfer durchaus einen Trend zur Abnahme der Fälle. Er leitet das Nationale Referenzlabor für Bienenkrankheiten am Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit. Die sinkende Zahl von Ausbrüchen führt Schäfer auf verstärktes Monitoring zurück. «Die Überwachung ist besser geworden, auch die Aufklärung der Imker», erklärt der Wissenschaftler. So schickten Imker häufiger freiwillig - oder zufällig ausgewählt - Proben zur Früherkennung der Brutkrankheit ein.
Die Seuche wird durch Bakterien mit dem Fachnamen Paenibacillus larvae verursacht. Gelangen deren Sporen in einen Bienenstock und werden beim Füttern an die Larven gegeben, sterben diese. Werden die toten Nachkommen nicht von Arbeiterinnen entfernt, weil die jeweilige Brutzelle schon mit einem Wachsdeckel versehen wurde, entstehen darin Millionen neuer Sporen. Sie sind äußerst widerstandsfähig und können 30 Jahre und länger überleben.
Ein Imker kann Schäfer zufolge nicht ohne weiteres und sofort sehen, was los ist. Beim Verdacht auf Amerikanische Faulbrut müsse er die Veterinärbehörde informieren. Teile der Amtstierarzt den Verdacht, sperre er den Bienenstand und nehme Proben. Bestätige sich der Verdacht im Labor, werde ein Sperrgebiet von mindestens einem Kilometer um den Ausbruchsherd festgelegt. Bienenvölker dürfen aus dem Sperrgebiet weder hinaus- noch in dieses hineingebracht werden.
Das weitere Verfahren ist je nach Bundesland unterschiedlich: In einigen Ländern wie Brandenburg müssen die betroffenen Völker getötet werden. Die Zahlung der Tierseuchenkasse kompensiere den Schaden nicht, räumt Schäfer ein. Anderswo sei eine Sanierung der Völker zulässig, aber nicht immer möglich. Dafür werden die Bienen in einen gereinigten Kasten auf neue Rahmen geschüttelt. Wenn sie mit dem Bau von Waben beginnen, werden ihnen diese mehrfach weggenommen, bis ihnen durch das Bauen und Putzen wahrscheinlich keine Sporen mehr anhaften.
Mit Medikamenten ist der Seuche nicht beizukommen - Antibiotika dagegen sind in der EU nicht zugelassen. «Antibiotika töten die Sporen nicht ab», sagt Schäfer. «Woher die Sporen kommen, ist von der Wissenschaft noch nicht vollständig beantwortet.» Bienen, auch aus dem Ausland, dürften nur mit Gesundheitszeugnis verkauft werden.
Importhonig könne Sporen enthalten. «Aber welcher Imker verfüttert Honig?», meint Genersch. Am ehesten erfolge die Weiterverbreitung wohl durch Räuberei: Gesunde Bienen treffen auf geschwächte Völker und rauben deren Honig, anstatt Nektar zu sammeln. Damit infizieren sie ihre Brut.
Friedrich Karl Tiesler, Beiratsmitglied für Zuchtwesen beim Deutschen Imkerbund, hält die Infektion durch Auslandshonig für nicht so abwegig. Auch vernachlässigte Bienenstände könnten eine Quelle sein. Mit den verbesserten Diagnosemethoden der vergangenen Jahre sei die Faulbrut aber in den Griff zu bekommen.
                                                                                                                                                      dpa

Donnerstag, 27. Juni 2019

Die frühe Geschichte der Neandertaler in Europa

Forschende haben am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig Teile des Erbguts von zwei etwa 120.000 Jahre alten Neandertalern aus Deutschland und Belgien sequenziert. Die Analysen dieser Erbgut-Sequenzen ergaben, dass die letzten Neandertaler, die vor etwa 40.000 Jahren lebten, zumindest teilweise von diesen etwa 80.000 Jahre älteren europäischen Neandertalern abstammen. Im Erbgut des 120.000 Jahre alten Neandertalers aus Deutschland fanden die Forschenden außerdem Hinweise auf eine mögliche Abstammung von einer isolierten Neandertalerpopulation oder von Verwandten des modernen Menschen.
Forschende des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig haben Zellkern-DNA aus dem Oberschenkelknochen eines männlichen Neandertalers, der 1937 in der Hohlenstein-Stadel-Höhle in Deutschland entdeckt wurde, und aus dem Oberkieferknochen eines Neandertalermädchens gewonnen, das 1993 in der Scladina-Höhle in Belgien gefunden wurde. Beide Neandertaler lebten vor etwa 120.000 Jahren, sind also älter als die meisten anderen Neandertaler, deren Erbgut die Forschenden bisher analysiert haben.
Analysen der Zellkern-Genome der beiden Individuen ergaben, dass diese frühen Neandertaler aus Westeuropa enger mit den letzten Neandertalern verwandt waren, die rund 80.000 Jahre später in derselben Region lebten, als mit Neandertalern, die etwa zur selben Zeit wie die beiden Westeuropäer in Sibirien lebten. "Das Ergebnis ist wirklich außergewöhnlich und steht in starkem Kontrast zu der turbulenten Evolutionsgeschichte des modernen Menschen, die durch Austausch, Vermischung und Aussterben von Populationen geprägt ist", sagt Kay Prüfer, der die Studie leitete.
Im Gegensatz zum Erbgut aus dem Zellkern unterscheidet sich das mütterlicherseits vererbte mitochondriale Erbgut des Neandertalers aus der Hohlenstein-Stadel-Höhle deutlich von dem des späteren Neandertalers aus derselben Region. Außerdem unterscheidet es sich mit mehr als 70 Mutationen von den bekannten mitochondrialen Genomen anderer Neandertaler, wie eine frühere Studie zeigte. Die Forschenden vermuten daher, dass frühe europäische Neandertaler DNA von einer bisher noch nicht beschriebenen Population geerbt haben könnten. "Bei dieser unbekannten Population könnte es sich entweder um eine isolierte Neandertalerpopulation handeln, die noch nicht entdeckt wurde, oder sie könnte von einer potenziell größeren Population aus Afrika stammen, die mit dem modernen Menschen verwandt ist", erklärt der Leiter der Untersuchung Stéphane Peyrégne.

Sandra Jacob Presse- und Öffentlichkeitsarbeit                                                                                Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie

Oberschenkelknochen eines männlichen Neandertalers aus der Hohlenstein-Stadel-Höhle in Deutschland.

Oberschenkelknochen eines männlichen Neandertalers aus der Hohlenstein-Stadel-Höhle in Deutschland.
© Oleg Kuchar, Museum Ulm
Oberkieferknochen eines Neandertalermädchens aus der Scladina-Höhle in Belgien.
Oberkieferknochen eines Neandertalermädchens aus der Scladina-Höhle in Belgien.
© J. Eloy, AWEM, Archéologie andennaise

Mittwoch, 26. Juni 2019

(K)ein Platz für Wölfe?

Wölfe lösen beim Menschen gleichermaßen Angst und Faszination aus. Das Raubtier wird bei Nutztierhaltern, Jägern, Naturschützern und Politikern kontrovers diskutiert. Michelle Müller hat sich in ihrer Masterarbeit mit den Habitat-Ansprüchen sowie dem Konfliktpotenzial der Wölfe beschäftigt. In der aktuellen Ausgabe des Forschungsmagazins „Forschung Frankfurt“ zeigt sie Lösungsansätze auf.
Menschen hatten den Wolf in Europa fast vollständig ausgerottet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wanderten Einzeltiere von Polen aus wieder in die Bundesrepublik ein. Doch meist wurden sie abgeschossen oder überfahren. Erst als der Wolf nach der Wiedervereinigung 1990 auch in den neuen Bundesländern unter Naturschutz gestellt wurde, konnte er sich in Deutschland langfristig wieder ansiedeln. 2017/2018 lebten in Deutschland 73 Rudel und 31 Paare, verteilt auf die Bundesländer Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Zurzeit wächst die Wolfspopulation in Deutschland jährlich um etwa 30 Prozent. „Für die Annahme, Wölfe würden ihre Scheu gegenüber Menschen verlieren, wenn sie nicht bejagt werden, gibt es keinen wissenschaftlichen Beleg“, erklärt Michelle Müller, die an der Goethe-Universität Physische Geographie studierte. Während eines Praktikums bei LUPUS, dem Institut für Wolfsmonitoring und -forschung in Deutschland, lernte sie, dass das größte Konfliktpotential im Zusammenleben von Mensch und Wolf die Nutztierrisse sind.
Mit der Rückkehr der Wölfe musste die Art der Nutztierhaltung wieder an die Anwesenheit des Räubers angepasst werden. „Gezieltes Wolfsmanagement ist notwendig, um Konflikte zwischen Menschen, ihren Nutztieren und den Wölfen zu verhindern“, weiß Michelle Müller aus der Forschung für ihre Masterarbeit. Die Bundesländer erfassen Daten zum Vorkommen der Art und der von ihr verursachten Schäden. Managementpläne regeln die staatliche Förderung von Schutzmaßnahmen, die bis zu 90 Prozent beträgt. Sollte dennoch ein Tier nachweislich vom Wolf gerissen worden sein, erhält der Halter eine Ausgleichszahlung.
Den effektivsten Schutz bieten Herdenschutzhunde in Verbindung mit Elektrozäunen. Die Hunde leben hierbei dauerhaft in der Herde. Sie sind groß und kräftig genug, um Wölfe passiv durch Imponiergehabe zu vertreiben. Elektrozäune sollten straff gespannt sein und eine Stromstärke von mindestens 3 000 Volt aufweisen. Empfohlen wird eine Höhe von 120 cm. Bisher haben Wölfe nur in wenigen Fällen empfohlene Schutzmaßnahmen wiederholt überwunden. „Häufig sind Nutztierverluste auf falsch eingesetzte Schutzmaßnahmen zurückzuführen“, sagt Michelle Müller.

Mittwoch, 19. Juni 2019

Natürliches Insektizid schadet dem Grasfrosch nicht

Forschungsteam der Universität Tübingen prüft Alternative zu künstlichen Insektiziden als Mittel zur Stechmückenbekämpfung ‒ Kein Hinweis auf Schädigung von heimischen Amphibien
Weltweit ist ein starker Rückgang der Amphibien zu beobachten. Dazu tragen unter anderem künstliche Insektizide bei, die eigentlich Insekten als Pflanzenschädlinge oder Krankheitsüberträger eindämmen sollen. Eine Alternative bieten natürliche Insektizide, die von Bakterienstämmen produziert und bereits seit Jahrzehnten gezielt gegen Schadinsekten eingesetzt werden. Zuletzt kamen jedoch Zweifel auf, ob die von Bacillus thuringiensis-Bakterien produzierten Wirkstoffe für Frösche und andere Lurche tatsächlich harmlos sind. Dies ist der Fall, wie nun eine Studie bestätigt: Dr. Mona Schweizer, Lukas Miksch, Professor Heinz Köhler und Professorin Rita Triebskorn vom Institut für Evolution und Ökologie der Universität Tübingen haben am Beispiel von Grasfröschen aus dem Oberrhein die Verträglichkeit eines natürlichen Insektizids in Laborversuchen überprüft.

Sie stellten bei dem Mittel, das in der Region gegen Stechmücken eingesetzt wird, keine negativen Auswirkungen auf die Kaulquappen des Grasfrosches fest. Die Forscher halten die Insektizide aus Stämmen von Bacillus thuringiensis deshalb weiterhin für eine sinnvolle Alternative zu künstlichen Mitteln. Ihre Studie wurde in der Fachzeitschrift Ecotoxicology and Environmental Safety veröffentlicht.

Künstliche Insektizide, die weltweit in großen Mengen ausgebracht werden, sind häufig nicht auf einzelne Schädlingsarten abgestimmt und beeinträchtigen so andere Wildtiere. Zudem fördert ihr Einsatz die Ausbildung von Resistenzen bei den Schädlingen, die bekämpft werden sollen. „Am Oberrhein werden seit Jahrzehnten natürliche Gifte gegen die Larven von Stechmücken eingesetzt“, sagt Rita Triebskorn. In den Feuchtgebieten entwickeln sich zur gleichen Zeit mit den Mücken, häufig im März, die Kaulquappen des Grasfrosches aus dem abgelegten Laich. „Es lässt sich daher nicht vermeiden, dass auch die Frösche mit den Insektengiften in Kontakt kommen.“

Laborversuche mit stark erhöhter Dosis

Das Forschungsteam setzte Kaulquappen des Grasfrosches im Labor üblichen Mengen des Insektizids aus dem Bakterienstamm Bacillus thurigiensis israelensis aus, wie sie auch im Freiland ein-gesetzt werden, sowie der zehnfachen und hundertfachen Menge. Die Kaulquappen wurden auf Biomarker untersucht, die Stress, negative Effekte auf das Nervensystem oder den Stoffwechsel anzeigen. Außerdem prüften die Wissenschaftler, ob das Darmgewebe Veränderungen aufwies. „Wir konnten keine negativen Einflüsse des Bakterienwirkstoffs auf Gesundheit oder Entwicklung der Kaulquappen feststellen“, fasst Triebskorn die Ergebnisse zusammen. Es sei wichtig, eventuelle Nebeneffekte der Insektenbekämpfung vor allem auch bei Amphibien zu überprüfen. Durch ihren Lebenslauf ‒ vom Larvenstadium im Wasser bis zum Erwachsenenleben an Land ‒ seien sie Stresseinflüssen in vielen Lebensräumen ausgesetzt. „Nach unseren Ergebnissen halten wir die am Oberrhein eingesetzten natürlichen Insektenbekämpfungsmittel für sicher“, sagt die Wissenschaftlerin.
Dr. Karl Guido Rijkhoek Hochschulkommunikation           Eberhard Karls Universität Tübingen
Kaulquappe des Grasfrosches (Rana temporaria).
Kaulquappe des Grasfrosches (Rana temporaria).
Foto: Dr. Mona Schweizer

Milliarden Menschen immer noch ohne sauberes Trinkwasser

Genf - Mehr als zwei Milliarden Menschen weltweit haben nach einem Fortschrittsbericht der Vereinten Nationen weiterhin keine sichere Versorgung mit sauberem Trinkwasser.
2,2 Milliarden Menschen sind betroffen, das sind 28,6 Prozent der Weltbevölkerung. Gut vier Milliarden Menschen hätten noch keine Toiletten mit angemessener Entsorgung der Fäkalien, berichteten das UN-Kinderhilfswerk (Unicef) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am Dienstag in Genf.

«Nur Zugang zu Wasser zu haben reicht nicht», meinte Kelly Ann Naylor von Unicef. «Kinder und Familien in armen und ländlichen Gegenden sind in Gefahr, vernachlässigt zu werden. Regierung müssen in diese Gegenden investieren, um wirtschaftliche und geografische Gräben zu überwinden.»

Mit sicherer Versorgung meinen die Organisationen Trinkwasser, das nicht verunreinigt und jederzeit direkt am Wohnort vorhanden ist, sowie Toiletten mit nachhaltiger Fäkalien-Entsorgung.

Die Organisationen unterscheiden dies von einer Minimalversorgung, bei der zwar eine geschützte Trinkwasserquelle im Umkreis von weniger als 30 Minuten Fußweg vorhanden, das Wasser aber nicht mit Sicherheit sauber ist. Bei einer Minimalversorgung sind zwar Toiletten vorhanden, die nicht mit anderen Familien geteilt werden müssen. Aber die Fäkalien werden nicht richtig entsorgt.

«Wenn Länder nicht größere Anstrengungen (...) machen, werden wir weiter mit Krankheiten leben müssen, die schon vor langem in die Geschichtsbücher gehört hätten», meinte Maria Neira von der WHO. Dazu gehörten Typhus, Hepatitis A, Cholera und andere Durchfallerkrankungen sowie Wurmerkrankungen und bakterielle Augenentzündungen.

Nach Angaben der UN sterben jeden Tag fast 1.000 Kinder unter fünf Jahren an Krankheiten, die durch unsauberes Trinkwasser, schlechte Toiletten oder mangelnde Hygiene verursacht werden. Die gesamte Weltbevölkerung mit sauberem und bezahlbarem Trinkwasser und adäquaten Toiletten zu versorgen gehört zu den UN-Entwicklungszielen, die bis 2030 erreicht werden sollen.

Bei der Minimalversorgung sei zwar seit der Jahrtausendwende viel erreicht worden. Heute hätten 1,8 Milliarden mehr Menschen Wasser im Umkreis von 30 Gehminuten als noch vor knapp 20 Jahren. 2,1 Milliarden Menschen zusätzlich hätten Latrinen, die nicht mit anderen Familien geteilt werden müssten. Bei Trinkwasser müssten aber heute immer noch 785 Millionen Menschen selbst auf diese Minimalstandards verzichten, bei Toiletten zwei Milliarden Menschen.

Im Jahr 2000 hätten noch 21 Prozent der Menschen weltweit ihre Notdurft unter freiem Himmel verrichtet, heute seien es nur noch 9 Prozent, heißt es in dem Bericht. Aber in 39 Ländern sei die Zahl der Menschen ohne Toiletten sogar gestiegen, vor allem in Afrika südlich der Sahara, wo das Bevölkerungswachstum besonders groß sei.

Zur Zeit leben schätzungsweise 7,7 Milliarden Menschen auf der Erde. Die Zahl könnte einer neuen UN-Schätzung um das Jahr 2100 mit fast elf Milliarden Menschen ihren Höhepunkt erreichen. Bis 2050 werde die Zahl wahrscheinlich auf 9,7 Milliarden anwachsen, geht aus dem neuen UN-Weltbevölkerungsbericht vom Montag hervor.

Über die Entwicklung nach 2100 enthält der Bericht keine Aussagen. Nach den Schätzungen wird etwa die Hälfte der neuen Erdenbürger in neun Ländern geboren, vier davon, Nigeria, Kongo, Äthiopien und Tansania, sowie in Indien, Pakistan, Indonesien, Ägypten und den USA.
dpa

Montag, 17. Juni 2019

Nature Plants: Agrarwissenschaften Züchtung fördert nachhaltige Weizenproduktion

Weizen ist die weltweit am häufigsten angebaute Kulturpflanze. Für die globale Nahrungssicherung spielen die hohen Erträge im intensiven europäischen Weizenanbau eine ausschlaggebende Rolle. Doch wie können die nötigen Produktionsmengen von qualitativ hochwertigen Nahrungspflanzen wie Weizen trotz eines deutlich reduzierten Einsatzes von agrochemischen Produkten wie Dünger und Pflanzenschutzmitteln erreicht werden? Im Sinne einer nachhaltigeren Landwirtschaft gewinnt diese Frage zunehmend an Bedeutung. Wichtige Antworten liefern die Ergebnisse einer großangelegten Studie verschiedener Universitäten und Einrichtungen, die unter der Federführung der Professur für Pflanzenzüchtung (Prof. Dr. Rod Snowdon) der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) am 17. Juni 2019 unter dem Titel Breeding improves wheat productivity under contrasting agrochemical input levels („Züchtung fördert die Produktivität von Weizen bei unterschiedlichen agrochemischen Einsatzmengen“) in der Zeitschrift „Nature Plants“ veröffentlicht worden sind. 

In der öffentlichen Diskussion wird oft bemängelt, dass moderne Pflanzensorten aufgrund der starken Ausrichtung auf Ertragssteigerung nur noch im intensiven Anbau leistungsfähig seien. Älteren Sorten wird dagegen eine bessere Anpassungs- und Leistungsfähigkeit in Anbausystemen mit reduziertem Input zugesprochen. Jedoch fehlten bislang empirische Grundlagen für diese Aussagen, aus denen Entscheidungshilfen zur Züchtung bestimmter Sorten für einen nachhaltigeren Anbau entwickelt werden könnten. Um diese Wissenslücke zu schließen, haben Agrarwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler an verschiedenen Standorten den Einfluss des Zuchtfortschrittes auf das Ertragspotenzial unter nachhaltigeren Anbauszenarien unter die Lupe genommen. 

In einer der bisher größten derartigen Untersuchungen weltweit wurden fast 200 bedeutende westeuropäische Weizensorten aus den letzten 50 Zulassungsjahren mehrjährig an diversen Standorten angebaut. Das Ungewöhnliche an der Studie: Die Leistung jeder Sorte wurde nicht nur unter optimalen – also intensiven – Anbaubedingungen eingehend geprüft, sondern an jedem Standort auch im direkten Vergleich zu Varianten mit stark reduzierter Stickstoffdüngung bzw. ohne Pflanzenschutzbehandlungen. So konnten die Forscherinnen und Forscher die Leistungen der Sorten unter unterschiedlichen Anbauintensitäten direkt miteinander vergleichen und den langjährigen Zuchtfortschritt in einen direkten Zusammenhang mit der Ressourceneffizienz und dem Pflanzenschutzbedarf bringen.

Die Studienergebnisse entsprechen einerseits den Erwartungen: Im intensiven Anbau verzeichneten die Agrarforscherinnen und -forscher eine durchschnittliche Ertragssteigerung neuer Sorten in Höhe von etwa 32 kg/ha pro Zulassungsjahr. Dies erklärt einen großen Anteil der anhaltenden Produktionszunahmen der letzten 50 Jahre und spiegelt sich auch in den Bestimmungen der Sortenzulassung wider: Für die Registrierung neuer Sorten setzen die amtlichen Zulassungsbehörden eine Verbesserung gegenüber früheren Sorten voraus.

Eine große Überraschung hielten jedoch die Ertragsdaten aus den Varianten mit reduzierten Agrarchemieeinsätzen bereit: Hier fiel der züchtungsgetriebene Ertragsfortschritt wider Erwarten nicht geringer aus, sondern war ebenso hoch oder sogar noch höher als im intensiven Anbau. Auffällig: Es zeigten keineswegs die älteren, sondern durchweg die neuesten Sorten die höchste Leistung – und dies auch ohne Fungizid-Behandlung oder bei reduzierter Düngung. Die neueren Weizensorten zeichneten sich insgesamt durch verbesserte Krankheitsresistenzen, erhöhte Nährstoffnutzungseffizienz und sogar durch die stärksten Ertragsleistungen unter Dürrestress aus. Offensichtlich – so die Erklärung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – hat die intensive Züchtung auf Ertrag indirekt auch die Gesamtleistung der Sorten unter diversen Stress- oder Mangelsituationen verbessert. Neuere Sorten wiesen sich auch durch eine bessere Ertragsstabilität aus.

Dank eingehender Analysen des Erbguts aller Sorten konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch die genetischen Hintergründe dieses Phänomens aufdecken: Durch die langjährige Selektion auf Ertrag unter äußerst unterschiedlichen Anbaubedingungen fand offensichtlich im Laufe der Zeit eine ständige Akkumulation von vorteilhaften Genvarianten statt. Deren Effekte waren im Einzelnen zwar jeweils sehr klein, in der Summe jedoch wirkte ihre stetige Zunahme positiv auf Nachhaltigkeitsmerkmale wie die Wasser- oder Nährstoffeffizienz. Darüber hinaus war zu erkennen, dass im Genpool moderner Sorten noch viel genetisches Potenzial für weitere Verbesserungen steckt. 

Für den europäischen Weizenanbau im Zeichen des Klima- und Agrarpolitikwandels konnten die Autorinnen und Autoren der Studie aufgrund dieser Kenntnisse eine klare Anbauempfehlung aussprechen: Eine ressourceneffiziente und nachhaltige Landwirtschaft unter reduziertem Agrarchemieeinsatz funktioniert nur unter Einsatz der neuesten, leistungsfähigsten Sorten. 


Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU)

Weizenähren aus 50 Jahren Zuchtfortschritt
Weizenähren aus 50 Jahren Zuchtfortschritt
Foto: Till Rose (Co-Autor, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel)



Neue Weizensorten bewähren sich auch unter widrigen Anbaubedingungen

(Quedlinburg) Über Jahrzehnte sind in Westeuropa die Weizenerträge bedingt durch den Züchtungsfortschritt und eine Intensivierung der Landwirtschaft gestiegen. Diese Intensivierung ist besonders durch eine verbesserte Nährstoffversorgung und die Möglichkeit, durch Pflanzenschutz Ertragsverluste durch Schädlinge und Krankheiten zu verhindern, gekennzeichnet. Doch was, wenn sich die Anbaubedingungen verändern, d.h. sich das Klima ändert, die Düngergaben reduziert werden müssen und Pflanzenschutzmittel nicht mehr wie bisher zur Verfügung stehen? Haben dann moderne Hochleistungssorten gegenüber alten Sorten das Nachsehen?

„Es ist ein Mythos, dass alte Sorten unter extensiven Bedingungen besonders gut abschneiden. Das haben unsere Versuche gezeigt“, sagt Dr. Holger Zetzsche vom Julius Kühn-Institut (JKI) in Quedlinburg. Das JKI ist Partner in einem Großprojekt, bei dem 191 Weizensorten an sechs Standorten unter verschiedenen Bedingungen über drei Jahre angebaut wurden. Einer dieser Standorte war der JKI-Hauptsitz in Quedlinburg, der mit seiner Schwarzerde über den besten Ackerboden im Projekt verfügte. Darüber hinaus prüfte ein JKI-Team am Standort Groß Lüsewitz für alle Projektpartner die Qualität des Ernteguts hinsichtlich Proteingehalt und Backfähigkeit.

Wie erwartet, bildeten die Versuche den Züchtungsfortschritt aus den vergangenen 50 Jahren ab: Die neuesten Sorten lieferten die höchsten Erträge und eine durchschnittliche Ertragssteigerung von etwa 32 kg/ha pro Jahr. Versuche mit reduziertem Stickstoffeinsatz und ohne Pflanzenschutzmittel zeigten überraschenderweise keinen geringeren, sondern sogar einen höheren Ertragszuwachs als im intensiven Anbau. Auch hier brachten die neuesten Weizensorten die höchste Leistung. Diese Sorten zeichneten sich insgesamt durch verbesserte Krankheitsresistenzen sowie erhöhte Nährstoffnutzungseffizienz aus und zeigten unter Dürrestress ebenfalls höhere Erträge als alte Sorten. 

„Unsere Ergebnisse bestätigen die Züchtungsstrategien der vergangenen Jahrzehnte und auch das behördliche Zulassungsverfahren, das für die Zulassung einer neuen Sorte einen landeskulturellen Wert fordert, in den neben der Ertragsleistung auch Resistenzen eingehen“, sagt Prof. Dr. Frank Ordon, Präsident des JKI und zugleich Leiter des JKI-Instituts für Resistenzforschung und Stresstoleranz. Einen solchen landeskulturellen Wert stellt zum Beispiel eine erhöhte Krankheitsresistenz dar, der vor dem Hintergrund künftiger Produktionsbedingungen eine besondere Bedeutung zukommt. Offensichtlich – so die Erklärung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – hat die Züchtung nicht nur den Ertrag, sondern auch die Gesamtleistung der Sorten unter diversen Stress- oder Mangelsituationen verbessert. Neuere Sorten wiesen auch eine bessere Ertragsstabilität auf.

Eingehende Analysen des Erbguts aller Sorten offenbarten die genetischen Hintergründe des allgemein besseren Abschneidens moderner Sorten: Durch die langjährige Selektion auf Ertrag unter äußerst unterschiedlichen Anbaubedingungen fand offensichtlich im Laufe der Zeit eine ständige Akkumulation von vorteilhaften Genvarianten statt. Deren Effekte waren zwar im Einzelnen jeweils sehr klein, in der Summe jedoch wirkten sie positiv auf Nachhaltigkeitsmerkmale wie Wasser- oder Nährstoffeffizienz. Darüber hinaus zeigte sich, dass im Genpool moderner Sorten noch Potenzial für weitere Verbesserungen steckt. Holger Zetzsche weist aber darauf hin, dass die pflanzengenetischen Ressourcen alter Sorten eine wichtige Quelle für die künftige Verbesserung von Resistenzeigenschaften sind.

Julius Kühn-Institut, Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen 


Anbauversuch Weizensortiment auf JKI-Versuchsfeld in Quedlinburg

Anbauversuch Weizensortiment auf JKI-Versuchsfeld in Quedlinburg
A.Serfling/JKI

Freitag, 14. Juni 2019

Statement: Cannabis als Medizin

Prof. Dr. Heino Stöver vom Institut für Suchtforschung der Frankfurt UAS nimmt Stellung zum Einsatz von Cannabis in der Medizin und dem Recht von Kranken auf dieses Medikament
Mit dem am 10. März 2017 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften hat der Gesetzgeber die Möglichkeiten zur Verschreibung von Cannabisarzneimitteln erweitert. Prof. Dr. Heino Stöver vom Institut für Suchtforschung der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) ist erstaunt, dass das Gesetz keine Indikationsbereiche festgelegt hat. Dies ist aus seiner Sicht für Deutschland sehr ungewöhnlich, da man sonst in Gesetzen sehr detaillierte Vorgaben mache. Stöver sieht darin für Cannabispatientinnen und -patienten und deren behandelnde Ärztinnen und Ärzte große Vorteile, da deren Handlungsspielraum somit vergrößert wurde. Bis Deutschland zu einer Regelversorgung mit Cannabis gekommen ist, sei es aber noch ein weiter Weg. Während im Vorfeld des Gesetzeserlasses von rund 2.000 betroffenen Patientinnen und Patienten ausgegangen wurde, sind es mittlerweile vermutlich über 40.000 Betroffenen, die Cannabis als Medizinprodukt nutzen. Im zweiten Jahr nach der Gesetzesänderung hat die Zahl der Cannabisrezepte weiter deutlich zugelegt: Man kann daher heute von etwa 15.000 Patienten ausgehen, die eine Kostenerstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen erhalten. Weitere 15.000-30.000 Patienten erhalten vermutlich Privatrezepte mit oder ohne Kostenerstattung (Quelle: ACM-Mitteilungen vom 10. März 2019 unter https://www.cannabis-med.org/german/acm-mitteilungen/ww_de_db_cannabis_artikel.p...).

„Cannabis ist in Deutschland leider noch kein Medikament wie jedes andere. Mit dem Cannabis als Medizin-Gesetz wurden jedoch sehr gute rechtliche Voraussetzungen geschaffen“, so Stöver. Deutschland stehe mit dem Gesetz bei diesem Thema weltweit an der Spitze – zumindest auf dem Papier sei die gesetzliche Neuregelung der Therapie mit Cannabis-Medikamenten beispiellos. Das Besondere an der gesetzlichen Regelung ist die Möglichkeit einer Verschreibung durch jede Ärztin/jeden Arzt in Deutschland in Kombination mit dem Anspruch auf eine Kostenerstattung durch die Krankenkassen.

„In Deutschland könnten mehr als eine Millionen Menschen von einer Therapie mit Cannabis profitieren“, schätzt Stöver. „Ein zentrales Problem aber ist, dass in den meisten Fällen weder die Patientinnen und Patienten noch die Ärztinnen und Ärzte wissen, dass Cannabis als Medizin helfen könnte. Die Wissenslücke in der Ärzteschaft ist ein Flaschenhals beim Einsatz von Cannabis in Deutschland. Zahlreiche Ärztinnen und Ärzte lehnen eine Behandlung mit Cannabis ab, weil sie diesem skeptisch gegenüberstehen, verunsichert sind, Angst vor negativer Reputation haben oder die bürokratischen Hürden fürchten.“

„Erst wenn es für jeden, dem Cannabis helfen könnte, eine reale Therapieoption mit vielfältigen Cannabis-Medikamenten gibt, haben wir eine Normalität und hierdurch eine Regelversorgung erreicht“, betont Stöver. Der Weg von der Ausnahmemedizin in die Regelversorgung ist jedoch lang. Gegenwärtig wird die Versorgung mit Cannabis noch aus den Niederlanden und Kanada gedeckt. In den kommenden Jahren soll medizinisches Cannabis dann auch in Deutschland angebaut werden. Wann genau, steht noch in den Sternen. Das Gesetz sieht gemäß den Vorgaben des Einheits-Übereinkommens von 1961 über Suchtstoffe der Vereinten Nationen die Einrichtung einer staatlichen Stelle, der so genannten Cannabisagentur, vor. Diese wird den Anbau von Cannabis für medizinische Zwecke in Deutschland steuern und kontrollieren. Im April 2019 wurden erste Zuschläge für den Anbau und die Ernte von insgesamt 7200 kg Cannabis für vier Jahre erteilt. 
„Durch das jahrzehntelange Verbot von Cannabis und dem Verbot damit zu forschen, ist viel Wissen um Cannabis als Medizin verloren gegangen. Es ist essentiell, dieses vergessene Wissen wieder in die Köpfe, in Hochschulen und Lehrbücher zu bringen“, plädiert Stöver. „Die Arzneipflanze Cannabis zeichnet sich durch ein weites Einsatzspektrum aus. Die zahlreichen unterschiedlichen Sorten Cannabis könnten eine ganze Apotheke füllen. Gerade für chronisch kranke Menschen, die über viele Jahre Medikamente einnehmen müssen, sind die vergleichsweise geringen Nebenwirkungen von Cannabis ein Gewinn an Lebensqualität“, betont Stöver. „Cannabis ist vielseitig anwendbar. Die orale Einnahme und das Inhalieren sind nur die beiden gängigsten Anwendungsformen. Möglich sind diverse Rezepturen für die speziellen Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten von Zäpfchen über Tee bis zu Salben.“

Gemeinsam mit Maximilian Plenert, der selbst ADHS- und Cannabispatient ist und sich die Medikation auf dem Rechtsweg erstritten hat, hat Stöver „Cannabis als Medizin Praxisratgeber für Patienten, Ärzte und Angehörige“ verfasst. Der Ratgeber stellt die erste umfassende Publikation zu dieser Thematik im deutschsprachigen Raum dar. Neben einer Einführung zur Cannabispflanze und deren Wirkung gibt er Antworten auf rechtliche wie medizinische Fragen und zeigt auf, wie man eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse erreichen kann und welche Widerspruchsvorlage man verwenden sollte. Da die Cannabisblüte noch ohne Beipackzettel abgegeben wird, stellt das Werk diesen erstmals für Patientinnen und Patienten zur Verfügung.

Plenert, Maximilian; Stöver, Heino: Cannabis als Medizin Praxisratgeber für Patienten, Ärzte und Angehörige, Fachhochschulverlag Frankfurt am Main 2019, ISBN: 978-3-943787-90-0, 19 Euro (zuzüglich Portokosten)

Gerne steht Prof. Dr. Stöver für Interviews, Fragen und weitere Statements rund um das Thema „Cannabis als Medizin“ zur Verfügung.

Zur Person Stöver:
Prof. Dr. Heino Stöver ist Dipl.-Sozialwissenschaftler und Professor für sozialwissenschaftliche Suchtforschung am Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit der Frankfurt UAS. Er leitet seit über zehn Jahren das Institut für Suchtforschung Frankfurt am Main (ISFF). Stövers Forschungsschwerpunkte sind von großer gesellschaftlicher Bedeutung, da die Zielgruppen seiner Forschung gesundheitlich und teils sozial stark belastet sind und oft zu spät behandelt werden; die späte Behandlung verursacht hohe Kosten und kann zum Tod führen. In den letzten fünf Jahren hat Stöver mehr als 20 Forschungsprojekte für nationale und internationale Auftraggeber durchgeführt und dafür Dritt- und Forschungsfördermittel in Höhe von mehr als 2,5 Mio. Euro eingeworben. Zurzeit leitet er u.a. das Teilprojekt „Evaluation von Maßnahmen zur Schadensminimierung im Hinblick auf offene Drogenszenen“ im Rahmen des BMBF-Verbundvorhabens DRUSEC. Darüber hinaus ist er an mehreren EU-Verbundprojekten beteiligt. Stöver hat beispielsweise am Projekt „Central Asia Drug Action Programme“ mitgewirkt, bei dem eine Beratungs- und Behandlungsstruktur für Drogenkonsumierende in Zentralasien entwickelt wurde und das von der EU Kommission mit insgesamt 900.000 Euro gefördert wurde.

Zum Institut für Suchtforschung (ISFF):
Das Institut für Suchtforschung (ISFF) an der Frankfurt UAS arbeitet seit 1997 an der Weiterentwicklung zielgruppenspezifischer und lebensweltnaher Prävention, Beratung und Behandlung von Suchterkrankungen. Es erforscht Sucht in ihren verschiedenen Erscheinungsformen sowie die mit Sucht in Zusammenhang stehenden Probleme und Aspekte. Das Institut fördert den Ausbau von interdisziplinären Beziehungen zu Kooperationspartnern auf nationaler und internationaler Ebene. Forschungsprozesse und -resultate finden in Lehre und Studium Berücksichtigung.
Sarah Blaß Pressestelle
Frankfurt University of Applied Sciences

Dienstag, 28. Mai 2019

Ursachen der Wilderei von Elefanten

Studie zeigt Zusammenhang illegaler Jagd in Afrika mit Armut, Korruption und Nachfrage nach Elfenbein
Elefanten sind essenziell für die Savannen- und Waldökosysteme und spielen eine wichtige Rolle für den Ökotourismus in Afrika – jedoch hat die Wilderei in den vergangenen Jahrzehnten zu einem raschen Rückgang der Elefantenpopulationen beigetragen. Ein internationales Forscherteam präsentiert nun eine positivere Bilanz: Severin Hauenstein und Prof. Dr. Carsten Dormann von der Abteilung für Biometrie und Umweltsystemanalyse der Universität Freiburg zeigen zusammen mit Dr. Colin Beale von der Universität York/England sowie Dr. Mrigesh Kshatriya and Dr. Julian Blanc von dem Elefanten-Monitoring-Programm MIKE in Kenia/Afrika mit statistischen Verfahren auf, dass die Intensität der Wilderei auf Afrikanische Elefanten seit 2011 verhältnismäßig stark gesunken ist. In einer Studie, die sie in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „Nature Communications“ veröffentlichen, stellen die Forschenden die illegale Jagd auf Elefanten in Zusammenhang mit lokaler Armut, regionaler Korruption sowie der globalen Nachfrage nach Elfenbein.

Während fast alle Elefantenpopulationen nach dem Jahr 2000 drastische Rückgänge verzeichneten, sind einige Populationen mittlerweile seit ein paar Jahren stabil oder nehmen wieder zu, wie zum Beispiel die Tiere im Krüger-Nationalpark in Südafrika. Die Analyse der Forschenden zeigt, dass die Zahl der Elefanten, die durch Wilderei sterben, von einem geschätzten Höchstwert von mehr als zehn Prozent der Afrikanischen Elefantenpopulation im Jahr 2011 auf weniger als vier Prozent im Jahr 2017 gesunken ist. „Diese Entwicklung ist positiv zu bewerten, bedeutet aber noch keine Entwarnung“, erklärt Hauenstein. „Nach einigen Veränderungen im politischen Umfeld scheint die Gesamtzahl der illegal getöteten Elefanten in Afrika zu sinken, aber um mögliche Schutzmaßnahmen zu bewerten, müssen wir die lokalen und globalen Prozesse verstehen, die die illegale Jagd auf Elefanten antreiben.“ 

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass im regionalen Vergleich vor allem Korruption und Armut in der lokalen Bevölkerung die Wilderei begünstigen. Die Wissenschaftler heben hervor, dass die Bemühungen, die Nachfrage von Elfenbein auf asiatischen Märkten einzudämmen sowie regionale Korruption und Armut zu reduzieren, im Kampf gegen Wilderei erfolgreicher sein könnten als lediglich die Strafverfolgung zu verstärken: die erfassten jährlichen Raten der Wilderei korrelieren stark mit Angaben zur Elfenbeinnachfrage in Ostasien und insbesondere in China, dem traditionellen Markt für Elfenbein. Zudem unterscheiden sich die Quoten der illegalen Tötungen zwischen den 29 afrikanischen Ländern stark. Diese seien vor allem vom Grad der Korruption und Armut in dem jeweiligen Land abhängig. 

Im Schutzprogramm „Monitoring the Illegal Killing of Elephants“ (MIKE), das die Europäische Union mitfinanziert, erfassen Wildtierhüterinnen und Wildtierhüter jährlich in 53 überwachten Stellen in 29 afrikanischen Ländern die sterblichen Überreste von Elefanten und untersuchen sie auf die Todesursache. Zwischen 2002 und 2017 haben sie 18.007 Kadaver registriert, von denen 8.860 als illegale Tötungen identifiziert wurden. MIKE wurde durch das Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten frei lebenden Tieren und Pflanzen (CITES) gegründet, um die weltweit 181 Vertragsparteien bei Entscheidungen zum Handel mit Elefantenprodukten zu beraten. Zudem soll das Programm den Schutz und das Management von Elefanten in den betreffenden Staaten unterstützen.
Nicolas Scherger Presse- und Öffentlichkeitsarbeit     Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau
Bildunterschrift: Siehe Text. Foto: Colin Beale/Universität York
Foto: Colin Beale/Universität York 

Montag, 27. Mai 2019

E-Zigaretten nicht verharmlosen. Dampfen in der Schwangerschaft gefährdet das Kind

Zum Weltnichtrauchertag 2019 am 31. Mai 2019 fordern die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) und die Deutsche Lungenstiftung (DLS), Kinder und Schwangere besser vor den schädlichen Einflüssen von Tabakrauch und E-Zigarettenaerosol zu schützen. Neben einem umfassenden Werbeverbot und dem Verbot im Auto zu rauchen oder zu dampfen fordert sie auch, werdende Eltern über die Gefahren der E-Zigarette aufzuklären. Aktuelle Erhebungen legen nämlich nahe, dass Schwangere die Risiken des Dampfens unterschätzen und fälschlicherweise davon ausgehen, dass E-Zigaretten bei der Entwöhnung von Tabakzigaretten helfen.
Laut Schätzungen des Robert Koch-Instituts raucht jede zehnte Frau in Deutschland während der Schwangerschaft Zigaretten (1). Damit stören sie die Entwicklung des Kindes im Mutterleib und erhöhen sein Risiko für diverse Erkrankungen im späteren Leben. „Da die E-Zigarette als Hilfsmittel zu sanften Ausstieg aus der Tabakabhängigkeit beworben wird, müssen wir annehmen, dass Schwangere, die das Rauchen aus eigener Kraft nicht aufgeben können, E-Zigaretten als Alternative nutzen, sagt Professor Dr. med. Robert Loddenkemper als Vertreter der DGP. Diese Vermutung wird von einer amerikanischen Langzeitstudie bestätigt, an der über 3.000 Frauen teilnahmen, die währenddessen Mütter wurden (2). Sieben Prozent von ihnen gaben an, während der Schwanger-schaft E-Zigaretten geraucht zu haben. Die Hälfte von ihnen nannte als Begründung, dass E-Zigaretten weniger schädlich für das Kind seien und zudem bei der Tabakentwöhnung helfen würden. Jede vierte Schwangere wusste nicht, dass ihre E-Zigarette den Suchtstoff Nikotin enthielt.

Lungenexperten halten diese Ergebnisse für besorgniserregend, wenngleich für Deutschland noch keine Zahlen erhoben wurden. „Die Studie zeigt, dass die Vermarktungsstrategie der Industrie auf-geht, die die schädlichen Effekte von E-Zigaretten verharmlost“, sagt Professor Dr. med. Stefan Andreas, der die Deutsche Lungenstiftung vertritt. Zwar sind die gesundheitlichen Langzeitfolgen der E-Zigarette nicht so gut untersucht wie die des Tabakkonsums. Als belegt gilt aber, dass Nikotin die embryonale Entwicklung stört: Zu den Folgen zählen Früh- oder Totgeburten, ein niedriges Geburtsgewicht und ein erhöhtes Asthmarisiko (3). Auch in nikotinfreien E-Zigaretten fanden Forscher Substanzen, die akute Entzündungen im Lungengewebe hervorrufen können (4). Um werdende Mütter und ungeborene Kinder zu schützen, fordert die DGP deshalb eine bessere Aufklärung und Angebote, um rauchende Schwangere bei der Tabakentwöhnung zu unterstützen. „Der überwiegende Anteil der unabhängigen Studien konnten nicht zeigen, dass E-Zigaretten beim Rauchstopp helfen“, ergänzt Andreas. „Vielmehr wird deutlich, dass mit dem Umstieg auf E-Zigaretten eine neue Sucht geschaffen wird.“

Zum Schutz von Schwangeren und Kindern fordern DGP und DLS auch ein Rauchverbot in geschlossenen Räumen und Autos. Schon das Rauchen einer Zigarette oder E-Zigarette führt zu einer hohen Konzentration verschiedener Schadstoffe wie Feinstäube, Nikotin, Propylenglykol und Ace-ton, die bei Kindern chronische Erkrankungen der Atemwege verursachen können (5). „Nicht zuletzt müssen Kinder auch durch ein umfangreiches Werbeverbot für Tabak und E-Zigaretten geschützt werden“, betont Loddenkemper. Untersuchungen ergaben, dass jeder zehnte Jugendliche über Anzeigen auf dem sozialen Netzwerk Facebook dazu gebracht wurde, E-Zigaretten auszuprobieren (6). Mit zahlreichen süßlichen Aromen sind sie vor allem für diese Zielgruppe besonders ansprechend. Eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ergab, dass 22 Prozent der Jugendlichen, die bereits mit E-Zigaretten Erfahrungen gemacht hatten, in der Folge auch Tabakzigaretten rauchten – bei ihren nie-rauchenden Altersgenossen waren es nur 10 Prozent (7).


Quellen: 

(1) Kuntz B, Zeiher J, Starker A, et al. Rauchen in der Schwangerschaft – Querschnittsergebnisse aus KIGGS Welle 2 und Trends. J Health Monitor 2018; 3:47-54
(2) Kapaya M, D’Angelo DV, Tong VT, et al. Use of Electronic Vapor Products Before, During, and After Pregnancy Among Women with a Recent Live Birth — Oklahoma and Texas, 2015. MMWR Morb Mortal Wkly Rep 2019; 68:189–194 
(3) Deutsches Krebsforschungszentrum. Gesundheitsrisiko Nikotin. Fakten zum Rauchen. Heidelberg: DKFZ; 2015.
(4) Brożek GM , Jankowski M& Zejda JA. Acute respiratory responses to the use of e-cigarette: an in-tervention study, Scientific Reports 2019; 9:6844
(5) Schober W, Fembacher L, Frenzen A, Fromme H. Passive exposure to pollutants from conventional cigarettes and new electronic smoking devices (IQOS, e-cigarette) in passenger cars. Int J Hygiene Environ Health 2019; 222: 486–493
(6) Camenga D, Gutierrez KM, Kong G, et al. E-cigarette advertising exposure in e-cigarette naïve ado-lescents and subsequent e-cigarette use: A longitudinal cohort study. Addict Behav 2018; 81:78-83 
(7) Morgenstern M, Nies A, Goecke M, Hanewinkel R. E-Zigaretten und Einstieg in den Konsum kon-ventioneller Zigaretten – Eine Kohortenstudie bei Jugendlichen der Klasse 10. Dtsch Arztebl Int 2018; 115:243-248.

Sonntag, 26. Mai 2019

Stillförderung lässt weltweit mehr Kinder überleben und bringt bares Geld

Mehr gestillte Kinder könnten die Gesundheitssysteme weltweit um riesige Beträge entlasten. Ökonomische Analysen haben den Einfluss des Stillens auf vermeidbare Todesfälle und Erkrankungen untersucht. Insbesondere in Schwellen- und Entwicklungsländern ist jeder US-Dollar, der in Stillförderung investiert wird, gut investiertes Geld. Intensive Stillförderung würde das Ziel mehr ausschließlichen Stillens in den ersten 6 Monaten auf mindestens 50% aller Babies bis 2025 näher bringen. Das könnte die vorzeitigen Sterbefälle in Ländern mit einer hohen Kindersterblichkeit um circa 820 000 pro Jahr verringern.
Mehr gestillte Kinder könnten die Gesundheitssysteme weltweit um riesige Beträge entlasten. Das gilt sowohl in den sogenannten Industrienationen, wie auch in Schwellen- und Entwicklungsländern. Immer häufiger wurden zuletzt ökonomische Analysen im Kontext des Stillens durchgeführt um den Einfluss des Stillens auf vermeidbare Todesfälle und Erkrankungen zu untersuchen. Auch die Kosteneffektivität für das Gesundheitssystem und damit die Bedeutung für die Gesellschaft wurden erforscht .
Insbesondere in Schwellen- und Entwicklungsländern ist jeder US-Dollar, der in Stillförderung investiert wird, gut investiertes Geld, denn er bringt einen wirtschaftlichen Ertrag von 35 US-Dollar. Und noch eine Zahl lässt aufhorchen: vergleichsweise überschaubare 4,70 Dollar für jedes Neugeborene wären erforderlich, um Stillförderung so intensiv zu betreiben, dass das von der Weltgesundheitsorganisation genannte Ziel der Steigerung des ausschließlichen Stillens in den ersten 6 Monaten auf mindestens 50% aller Babies bis 2025 erreicht werden könnte. Das könnte die vorzeitigen Sterbefälle in Ländern mit einer hohen Kindersterblichkeit um circa 820 000 pro Jahr verringern. Damit hätte das Stillen als Einzelmaßnahme den größten gesundheitsförderlichen Einfluss auf die Kindersterblichkeit in Schwellen- und Entwicklungsländern. Eine Gruppe internationaler Wissenschaftler schätzt auf Basis von Modellrechnungen, dass bereits eine 10%ige Steigerung der Rate ausschließlich gestillter Kinder eine Kostenreduktion von mindestens 312 Millionen US-Dollar in den USA, 7,8 Millionen US-Dollar in Großbritannien, 30 Millionen US-Dollar in China und 1,8 Millionen US-Dollar in Brasilien zur Folge hätte. Eine Erhöhung der Stillraten auf 90% in Brasilien, China und den USA sowie auf 45% in Großbritannien würde die Behandlungskosten für häufig auftretende Kinderkrankheiten wie Lungenentzündung, Durchfall und Asthma sehr deutlich senken. Die USA würden dadurch mindestens 2,45 Milliarden US-Dollar, Großbritannien 29,5 Millionen US-Dollar, China 223,6 Millionen US-Dollar und Brasilien 6,0 Millionen US-Dollar einsparen. Für Deutschland gibt es aktuell keine entsprechenden Schätzungen. Es besteht aber Konsens darüber, dass niedrige Stillraten nicht nur ein Problem von Schwellen-und Entwicklungsländern sind. 
Auch bei uns würde das Gesundheitssystem also in vielerlei Hinsicht – die Auswirkungen auf die Krankheitskosten der Frauen sind noch nicht berücksichtigt- von mehr Stillförderung profitieren. Um einen Überblick über Strukturen, Akteure und Maßnahmen zur Stillförderung in Deutschland.zu bekommen wurde das Forschungsprojekt Becoming Breastfeeding Friendly aufgesetzt. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat das Netzwerk Gesund ins Leben und die Nationale Stillkommission beauftragt, dieses Vorhaben für Deutschland durchzuführen. Die Universität Yale begleitet den gesamten Prozess wissenschaftlich. Becoming Breastfeeding Friendly wird die aktuelle Situation der Stillförderung in Deutschland systematisch abbilden und Daten für die Stillförderung und den Stillschutz in Deutschland liefern. Ergebnisse und Empfehlungen werden am 5. Juni auf einer Fachkonferenz in Berlin vorgestellt.
Britta Klein Geschäftsstelle   Gesund ins Leben – Netzwerk Junge Familie

Bakterien in fermentierten Lebensmitteln interagieren mit unserem Immunsystem

Milchsäurebakterien sind gut für den Körper und spielen für unsere Gesundheit eine zentrale Rolle. Warum das so ist, war bislang weitgehend unerforscht. Wissenschaftler der Universität Leipzig haben nun herausgefunden, dass Menschen und Menschenaffen auf ihren Zellen einen Rezeptor besitzen, welcher durch Signale von Bakterien aktiviert wird, die in fermentierten Lebensmitteln vorkommen. Die Studie liefert damit neue Einblicke in die evolutionäre Dynamik zwischen Mikroben und Immunsystem. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler aktuell im Forschungsmagazin Plos Genetics veröffentlicht.
Milchsäurebakterien, die Milch in Joghurt und Kohl in Sauerkraut verwandeln, haben eine gesundheitsfördernde Wirkung auf den menschlichen Organismus. Sie werden entweder mit fermentierter Nahrung aufgenommen oder besiedeln dauerhaft den Darm. Leipziger Wissenschaftler belegen nun erstmals die molekularen Mechanismen, wie Milchsäurebakterien mit unserem Körper interagieren. Zunächst untersuchten die Forscher Proteine auf der Oberfläche von Zellen, die Hydroxycarboxylsäure (HCA)-Rezeptoren genannt werden. Die meisten Säugetiere haben zwei Arten von diesem Rezeptor, nur bei Menschen und Menschenaffen gibt es einen dritten, den HCA3. „Wir haben evolutionäre, pharmakologische, immunologische und analytische Methoden kombiniert und untersucht, warum dieser Rezeptor uns während der Evolution erhalten geblieben ist“, so Studienleiterin Dr. Claudia Stäubert vom Rudolf-Schönheimer-Institut für Biochemie der Medizinischen Fakultät. Unsere menschlichen Vorfahren lebten zu einer Zeit großer Veränderungen auf der Erde, die auch ihren Lebensraum und damit das Nahrungsangebot beeinflussten. Diese führten zu einem neuen Lebensstil, der dadurch gekennzeichnet war, dass weniger frisches Obst verfügbar war und mehr herabgefallene fermentierte Früchte aufgenommen werden mussten. In diesem Szenario stellte der Rezeptor HCA3 möglicherweise einen entscheidenden Vorteil dar. „Wir haben im Zuge dieser Studie entdeckt, dass eine Substanz, die in hohen Konzentrationen in fermentierter Nahrung wie Sauerkraut vorkommt, den Rezeptor HCA3 aktiviert und so die Funktion des menschlichen Immunsystems beeinflusst“, so Stäubert. Die Wissenschaftler um Stäubert belegen mit ihrer Studie, dass nach dem Genuss von Sauerkraut Konzentrationen einer Substanz namens D-Phenylmilchsäure im Blut nachgewiesen werden können, die ausreichen, um den Rezeptor HCA3 zu stimulieren. „Unsere evolutionären und funktionellen Analysen stützen die Hypothese, dass dieser Rezeptor in Menschen und großen Menschenaffen während der Evolution als neues Signalsystem erhalten geblieben ist, um Funktionen des Immunsystems anzusprechen“, resümiert Stäubert. Die neu entdeckte Substanz D-Phenylmilchsäure teilt Immunsystem und Fettzellen über den Rezeptor mit, dass zum einen Fremdstoffe und zum anderen Energie in den Körper gelangt sind. 
„Unzählige Studien zeigen positive Effekte auf, die durch Milchsäurebakterien und fermentierte Nahrungsmittel vermittelt werden. Wir sind überzeugt davon, dass der HCA3 für einige dieser Effekte verantwortlich sein muss.“ sagt Stäubert. Kommende Forschungsarbeiten werden der Frage nachgehen, wie genau D-Phenylmilchsäure das Immunsystem und die Energiespeicherung beeinflusst, um herauszufinden ob der HCA3 auch als therapeutischer Angriffspunkt zum Beispiel zur Behandlung des Reizdarmsyndroms dienen könnte. Die Studie vom Rudolf-Schönheimer-Institut für Biochemie mit Direktor Prof. Dr. med. Torsten Schöneberg wurde in Zusammenarbeit mit dem Institut für Laboratoriumsmedizin, Klinische Chemie und Molekulare Diagnostik des Universitätsklinikums Leipzig, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ und dem Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) durchgeführt.
Peggy Darius Stabsstelle Universitätskommunikation/Medienredaktion Universität Leipzig

Diese Immunzellen exprimieren den betreffenden Rezeptor. Kern und Cytoskelett sind gefärbt.
Diese Immunzellen exprimieren den betreffenden Rezeptor. Kern und Cytoskelett sind gefärbt.
Claudia Stäubert

Dienstag, 14. Mai 2019

Archaeopteryx bekommt Gesellschaft

Forscher der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie (SNSB-BSPG) sowie der LMU München beschreiben einen bislang unbekannten Vogel aus dem oberen Jura – es ist erst der zweite bekannte flugfähige Vogel aus dieser Periode überhaupt, neben dem berühmten Archaeopteryx.
Der Thron des Archaeopteryx wackelt. Seit im Jahr 1861 das erste Fossil des Urvogels gefunden wurde, gilt er als einziger Vogel aus der erdgeschichtlichen Periode des Jura. Er belegt als Übergangsform zwischen Reptilien und Vögeln, dass die heutigen Vögel direkte Nachfahren von Raubdinosauriern sind. Alle bislang von ihm gefundenen Exemplare stammen aus dem Gebiet des Solnhofer Archipels, das sich im Jura im Bereich des heutigen Altmühltals erstreckte, in der Gegend zwischen Pappenheim und Regensburg. Hier lebte Archaeopteryx vor etwa 150 Millionen Jahren in einer Riff-Insel-Landschaft. Nun hat ein Team um Prof. Oliver Rauhut einen bislang unbekannten Vogel aus der Gegend taxonomisch beschrieben, es ist der zweite bekannte flugfähige Vogel aus dieser Periode überhaupt: Alcmonavis poeschli. „Das weist darauf hin, dass die Diversität der Vogelwelt im oberen Jura größer war als bislang bekannt“, sagt Rauhut, Paläontologe am Department für Geo- und Umweltwissenschaften der LMU sowie an der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie. 

Von Alcmonavis poeschli wurde nur ein Flügel entdeckt. „Wir hatten erst angenommen, dass auch dieses Exemplar ein Archaeopteryx ist, und haben es uns bei der Untersuchung nicht leicht gemacht. Es sind Ähnlichkeiten da, aber seine fossilen Reste lassen vermuten, dass es sich um einen etwas höher entwickelten Vogel handelt“. Wie die taxonomische Studie, die aktuell im Fachmagazin eLife veröffentlicht ist, zeigt, war Alcmonavis poeschli nicht nur etwas größer als Archaeopteryx. Er konnte offenbar auch besser fliegen: „Muskelansatzstellen am Flügel deuten auf ein verbessertes Flugvermögen hin“, sagt Rauhut. Alcmonavis poeschli weist mehrere Merkmale auf, die Archaeopteryx nicht hat, stammesgeschichtlich jüngere Vögel aber schon. Diese deuten auf eine bessere Anpassung an den aktiven Flatterflug hin. 

Damit bringt Alcmonavis poeschli neuen Schwung in die Debatte, ob der Vogelflug über den Gleitflug entstanden ist. „Seine Anpassungen zeigen, dass die Evolution des Fluges relativ schnell vorangeschritten sein muss“, sagt Dr. Christian Foth von der Université de Fribourg (Schweiz), einer der Koautoren der Studie.

Seinen Namen verdankt der nun erstmals beschriebene Vogel dem alten keltsichen Namen der Altmühl, Alcmona, und seinem Entdecker Roland Pöschl, der die Ausgrabungen im Steinbruch am Schaudiberg bei Mörnsheim leitet. In denselben Plattenkalkablagerungen wurde auch ein weiteres Fossil eines Archaeopteryx entdeckt. Die beiden Urvögel haben also offenbar parallel in der damals subtropischen Lagunenlandschaft Süddeutschlands gelebt.
Dr. Eva-Maria Natzer Öffentlichkeitsarbeit                                                         
Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns
Die Abbildung zeigt einen Flügel von Alcmonavis poeschli, wie er in den Plattenkalkablagerungen gefunden wurde. Alcmonavis poeschli ist der zweite bekannte flugfähige Vogel aus der Periode des Jura.
O. Rauhut, SNSB/LMU

Agrarökologen der Universität Göttingen plädieren für integrative Naturschutzkonzepte

In Naturschutz und Landwirtschaft gibt es zwei gegensätzliche Konzepte, wie eine hohe Artenvielfalt und eine nachhaltige Nahrungsmittelproduktion zu verbinden sei: Naturschutz soll in Produktionslandschaften integriert oder in Form von reinen Schutzgebieten segregiert werden, um auf den Produktionsflächen maximale Erträge zu ermöglichen. Forscherinnen und Forscher der Universität Göttingen plädieren für integrative Lösungsansätze, die Naturschutz und landwirtschaftliche Produktion in nachhaltig bewirtschafteten Agrarlandschaften vereinbaren. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift People and Nature erschienen.
„Viele Forscher argumentieren, dass die landwirtschaftliche Produktion auf den bestehenden Flächen intensiviert werden solle, um die Erträge zu steigern und gleichzeitig den landwirtschaftlichen Druck auf die letzte Wildnis zu verringern. Dieser Ansatz wird vor allem in tropischen Ländern verfolgt“, erläutert Dr. Ingo Grass aus der Abteilung Agrarökologie an der Universität Göttingen und Erstautor der Studie. „Allerdings sind Biodiversität und Landwirtschaft oft eng miteinander verflochten und viele Arten sind auch für den Landwirt von Nutzen. In den Kulturlandschaften Europas sind viele schützenwerte Arten an extensiv bewirtschaftete Lebensräume angepasst. Diese Arten sind durch die zunehmende landwirtschaftliche Intensivierung bedroht“, ergänzt Prof. Dr. Teja Tscharntke, Leiter der Abteilung. 

In ihrer interdisziplinären Studie argumentieren die Forschenden für eine stärkere Integration dieser beiden kontrastierenden Konzepte. „Moderne und nachhaltige Agrarlandschaften erfordern sowohl landsparende und ertragreiche Produktionsgebiete, unberührte Lebensräume als auch extensiv bewirtschaftete Flächen. Diese Kombination ermöglicht nicht nur die höchste Artenvielfalt, sondern fördert auch Ökosystemdienstleistungen wie die Bestäubung und biologische Schädlingsregulierung durch Insekten und Feldvögel. Diese sind für eine nachhaltige Agrarproduktion essenziell“, so Grass. Die verschiedenen Landschaftselemente und Lebensräume sollten dabei durch Hecken und Korridore verbunden sein, so die Autorinnen und Autoren, um ein Maximum an Artenvielfalt und Ökosystemdienstleistungen zu schaffen.

Thomas Richter Öffentlichkeitsarbeit
Georg-August-Universität Göttingen                                                                            
Eine strukturreiche Agrarlandschaft (Rumänien) kann die Artenvielfalt fördern.
Eine strukturreiche Agrarlandschaft (Rumänien) kann die Artenvielfalt fördern.                                                 Foto: Laura Sutcliffe