Samstag, 27. April 2019

Dunkle Wolken über Traditions-Chemiekonzern Bayer

 Bonn - Wegen des Kaufs des umstrittenen US-Konzerns Monsanto hat die Führungsriege des Agrarchemiekonzerns Bayer bei ihren Aktionären massiv an Vertrauen verloren.
Die Anteilseigner verweigerten dem Vorstand am Freitag überraschend die Entlastung: 55,5 Prozent des anwesenden Grundkapitals stimmten dagegen und nur 44,5 Prozent dafür. Für Vorstandschef Werner Baumann war das eine schallende Ohrfeige - normalerweise bekommt die Leverkusener Chefetage bei ihrer alljährlichen Hauptversammlung eine Zustimmung von etwa 97 Prozent. Das Votum hat allerdings keine direkten Folgen für den Vorstand, die Entlastung gilt eher als formaler Schritt.

Bei der 13-stündigen Veranstaltung in einem Bonner Kongresszentrum waren zahlreiche Großaktionäre hart ins Gericht gegangen mit der Chefetage. Mit Blick auf Imagekratzer durch die Klagewelle wegen angeblicher Krebsrisiken des Unkrautvernichters Glyphosat in den USA und den rapiden Kursverfall der Bayer-Aktie an der Börse sagte etwa Mark Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW): «Nie zuvor hat ein Dax-Konzern Reputation und Wert so schnell eingebüßt - das ist eine Schande.»

Kritik kam auch vom Analysten Janne Werning von der Fondsgesellschaft Union Investment: «Die Bayer-Führung hat die Rechtsrisiken des Monsanto-Deals offenbar völlig unterschätzt.» Seit 2018 hat Bayer in den USA zwei Gerichtsschlappen hinnehmen müssen, der Konzern wurde zu hohem Schadenersatz an Krebskranke verurteilt. Dagegen geht Bayer aber in Berufung. Insgesamt müssen sich die Leverkusener, die 2018 den Konkurrenten und Saatguthersteller Monsanto übernommen hatten, in den USA mittlerweile 13 400 Schadenersatzklagen wegen Glyphosat stellen - und die Zahl dürfte weiter steigen.

Bayer-Chef Werner Baumann beteuerte erneut, dass Glyphosat «bei sachgerechter Anwendung ein sicheres Produkt» sei. Mit Blick auf die krebskranken Kläger in den USA sagte der Manager: «Glyphosat-basierte Produkte sind nicht der Grund für ihre schweren Erkrankungen.»

Baumanns Beteuerungen konnten die tiefen Sorgenfalten der anwesenden Anteilseigner aber nicht glätten. Die Rechtsrisiken durch Monsanto seien für das 1863 gegründete Traditionsunternehmen «riesig und unkalkulierbar», monierte Nicolas Huber von der Deutsche-Bank-Fondstochter DWS. «Wir Aktionäre haben große Bedenken um den Fortbestand einer 150 Jahre alten und größtenteils erfolgreichen deutschen Industriegeschichte.» Ingo Speich von der Deka, die zu den Top-10-Anteilseignern von Bayer zählt, sprach von einem «Scherbenhaufen» und sagte mit Blick auf den Kursverfall: «Innerhalb von nur zwei Jahren ist der einstige Pharmagigant zu einem Zwerg mutiert.» Es gebe die Gefahr, übernommen oder sogar zerschlagen zu werden.

Baumann antwortete auf die Kritik ruhig und blieb bei seiner Linie: Man dürfe angesichts der Kurseinbußen zwar nichts beschönigen, dennoch sei der Monsanto-Kauf auf lange Sicht der richtige Schritt gewesen. «Wir halten die Monsanto-Akquisition nach wie vor für werthaltig und strategisch richtig.»

Man habe die Übernahme vorab gründlich geprüft, sagte der Manager. Aber war es überhaupt möglich, die Rechtsrisiken vorher genau einzuschätzen? Aktionäre meldeten Zweifel an - Monsanto sei auch börsennotiert gewesen, möglicherweise durften die US-Amerikaner in den Übernahmeverhandlungen gar nicht alle Karten auf den Tisch legen. Baumann ließ auch diesen Vorwurf abperlen - die Tiefenprüfung des Unternehmens (Due Diligence) sei «marktüblich» gewesen.

Kritik bei Aktionärstreffen ist - auch bei Bayer - durchaus üblich. Unüblich waren am Freitag hingegen ihre Schärfe und die Ankündigung mehrerer Großaktionäre, gegen die Entlastung zu stimmen. Im Jahr 2002 hatte es wegen des Lipobay-Skandals für den damaligen Vorstand nur 90 Prozent gegeben - zuvor hatte Bayer den Cholesterinsenker, der im Zusammenhang mit mehreren Todesfällen stand, vom Markt genommen. Dieser Wert galt als extrem schlecht - und wurde bei dem Votum am späten Freitagabend deutlich gerissen.

Die Abstimmung wird die Stellung von Unternehmenschef Baumann womöglich schwächen. Allerdings gab der Aufsichtsrat nach einer eilig einberufenen Sitzung am frühen Samstagmorgen dem Konzernlenker demonstrativ Rückendeckung. Man stehe «geschlossen hinter dem Vorstand», hieß es von Seiten des Kontrollgremiums. Man werde den Vorstand dabei «unterstützen, das Vertrauen der Aktionäre und weiterer Stakeholder in das Unternehmen und seine Strategie schnellstmöglich und vollständig wieder zurückzugewinnen».

Auch der Versammlungsleiter und Aufsichtsratsvorsitzende Werner Wenning hatte bei der Hauptversammlung einen Dämpfer bekommen. Sein Kontrollgremium wurde nur mit 66,4 Prozent des vertretenen Grundkapitals entlastet, nach 98 Prozent im Vorjahr.

Bei der Hauptversammlung hatte der 56-jährige Baumann im Kreuzverhör der Anteilseigner beteuert, dass sich der Aktienkurs erholen werde: «Wir setzen alles daran, den Wert unseres Unternehmens wieder in die Bereiche zu führen, wo er hingehört.» Zudem wies er auf gute Zahlen hin - tatsächlich hatte Bayer sich zum Jahresauftakt betriebswirtschaftlich insgesamt gut entwickelt, der Umsatz legte deutlich zu. Doch die dunklen Wolken wegen der Monsanto-Rechtsrisiken trübten die Stimmung der Aktionäre nachhaltig.

Während in das Bonner Kongresszentrum WCCB rund 3.600 Aktionäre gekommen waren, sorgten vor den Türen des Gebäudes bis zu 700 Demonstranten am Morgen für lautstarken Protest - die meisten von ihnen waren junge Menschen aus der «Fridays-for-Future»-Bewegung. Große Agrarkonzerne wie Bayer seien schlecht für die Umwelt und damit für die Zukunft, sagte Aktivist Felix Pohl draußen auf der Straße.

Zehn Stunden später tauchte der 20-Jährige dann in dem Kongresszentrum auf und prangerte die «Profitgier» von Bayer an. Nach seinem Redebeitrag skandierte mit einigen Mitstreitern im Saal: «Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut.» Diesmal war der Chor der Aktivisten allerdings leiser als am Morgen, als Hunderte von ihnen den «Fridays»-Slogan geschrien hatten.

Pohls Frage, wie viel Liter Pestizide Bayer im vergangenen Jahr produziert habe, führte allerdings zu keinen neuen Erkenntnissen: Man veröffentliche Umsätze in der Agrarsparte, aber keine Mengen, entgegnete Baumann dem «Fridays»-Aktivisten.


Quelle: dpa

Freitag, 26. April 2019

Landwirtschaftliche Produkte aus Brasilien boykottieren

Brasília/Brüssel - Keine Geschäfte um jeden Preis: Hunderte Wissenschaftler und Ureinwohner haben die EU dazu aufgerufen, bei den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Brasilien auf den Schutz der Umwelt und die Einhaltung der Menschenrechte zu bestehen.
«Brasiliens Wälder, Feuchtgebiete und Savannen sind entscheidend für die große Vielfalt der indigenen Völker, die Stabilität des globalen Klimas und die Erhaltung der Biodiversität», heißt es in einem offenen Brief in der Fachzeitschrift «Science». «Wir rufen die EU dazu auf, ihre Chance zu nutzen, um die Wahrung der Menschenrechte und den Schutz der Umwelt sicherzustellen.»

Unterzeichnet wurde das Schreiben von über 600 Wissenschaftlern aus EU-Staaten und den Vertretern von zwei Dachorganisationen der brasilianischen Ureinwohner, die rund 300 indigene Völker vertreten.

Der rechtspopulistische Präsident Jair Bolsonaro will den Schutz des Amazonasgebiets zurückfahren und den Regenwald stärker wirtschaftlich nutzen. Die EU verhandelt seit Jahren mit dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur über ein Freihandelsabkommen. Die Gespräche gelten allerdings als festgefahren. Uneinigkeit herrscht vor allem im Bereich der Landwirtschaft.

Durch den Import landwirtschaftlicher Produkte sei die EU mitverantwortlich für die großflächige Abholzung in Brasilien, hieß es in einer Erklärung der Unterzeichner des offenen Briefs. «Wir wollen, dass die EU aufhört, Abholzung zu importieren und stattdessen ein Vorbild für nachhaltigen Handel wird», sagte Laura Kehoe von der Universität in Oxford laut einer Mitteilung. Der brasilianische Wissenschaftler Tiago Reis sagte: «Das Zeitfenster, um desaströse Folgen des Klimawandels zu vermeiden, schließt sich. Die Schulstreiks und Klima-Proteste in Europa haben gezeigt, dass wir nicht länger bereit sind, Produktionsweisen hinzunehmen, die Klimawandel verursachen.»

Die Entwaldung bedrohe viele Arten, setze große Mengen an Kohlendioxid frei, und sie gefährde die Lebensgrundlagen der indigenen Bevölkerung, sagte Tobias Kümmerle von der Humboldt-Universität in Berlin. «Wir sollten auch beim Import von Agrarprodukten höhere Standards in Bezug auf Umwelt und Menschenrechte anlegen, da diese Produktion erhebliche Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaften in den Herkunftsländern hat.»

Die Nichtregierungsorganisation Amazon Watch warf ihrerseits Unternehmen aus Europa und den USA vor, durch ihre Geschäftsbeziehungen nach Brasilien die Abholzung des Regenwaldes zu befeuern. «Unsere Untersuchung zeigt, wie die globalen Märkte die schlimmsten Akteure der brasilianischen Landwirtschaft stützen», sagte Christian Poirier von Amazon Watch. «Sie unterstützen brasilianische Firmen, die für die zunehmende Abholzung und den Anstieg von Menschenrechtsverletzungen gegen die indigenen Gemeinschaften und die Landbevölkerung verantwortlich sind.»

Die niederländische Nichtregierungsorganisation Profundo hat die Geschäftsbeziehungen von 56 wegen Umweltvergehen in Brasilien verurteilte Firmen analysiert. Zu den Kunden der Umweltsünder gehören demnach Unternehmen in den USA, Kanada und Europa. Zudem sollen laut dem Bericht Banken aus der Schweiz, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den USA die brasilianischen Firmen mit Krediten versorgen.

«Wir benötigen Hilfe, damit die Dinge sich ändern», sagte die Koordinatorin der indigenen Dachorganisation APIB, Sônia Guajajara. «Wir rufen die internationalen Konsumenten dazu auf, landwirtschaftliche Produkte aus Brasilien zu boykottieren, bis sich die brasilianische Regierung des Schutzes des indigenen Landes annimmt, und etwas gegen die Gewalt gegen Ureinwohner tut. Wir wollen Frieden, damit unsere Leute ein gutes und würdiges Leben führen können.»
dpa