Samstag, 28. Dezember 2024

Argentinien: Tausende Nachkommen von Ausgewanderten fordern den Schweizer Pass

 Das Schweizer Bürgerrecht beruht auf dem Abstammungsprinzip. Auch wer im Ausland zur Welt kommt, erhält es vererbt. Trotzdem verloren Tausende Nachkommen von ausgewanderten Schweizer:innen ihr Bürgerrecht. Eine Petition will dies nun ändern.


Dylan Kunz ist 23, er stammt von Schweizer Ausgewanderten ab. Seine Schweizer Urgrosseltern sind im 19. Jahrhundert aus den Kantonen Solothurn und Thurgau nach Argentinien emigriert.

Seine Großeltern waren Schweizer Staatsangehörige, vier von fünf seiner Onkel sind Schweizer. Sein Vater Ruben und er selbst sind es jedoch nicht. Sein Vater hat das Schweizer Bürgerrecht unwissentlich verloren. Es ist verwirkt, er hat die Fristen verpasst.

Davon erfahren hat die Familie 2021, als sich der Vater 63-jährig per Mail bei der Schweizer Botschaft in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires meldete. Diese teilte ihm mit, dass er kein Schweizer Bürger ist.

«Das war eine riesige Enttäuschung für die ganze Familie. Für meinen Vater war es besonders hart, denn er hatte sein ganzes Leben lang geglaubt, dass er Schweizer sei.» Zu realisieren, dass dem nicht so ist, sei sogar ihm als Sohn ein bisschen peinlich gewesen, erzählt Dylan Kunz. «Mein Vater und ich haben immer allen gesagt: ‹Die Schweiz ist das beste Land der Welt und wir sind Schweizer›!»



Die Geburtsmeldung hat es nie zur Botschaft geschafft

Stets ging die Familie Kunz also davon aus, dass Vater Ruben wie seine älteren Geschwister fristgerecht bei der Schweizer Botschaft in Argentinien angemeldet worden war. Doch damals, nach der Geburt des Vaters 1958, als es noch keine E-Mails gab, wurde die argentinische Post teils noch mit Ross und Wagen befördert und war auch deshalb nicht die zuverlässigste. Die Meldung über die Geburt des Vaters von Dylan Kunz und seines gleichzeitig gemeldeten Bruders hat die Schweizer Vertretung offenbar nicht erreicht, so die enttäuschende Schlussfolgerung der Familie.

Das Gesetz sagt: Wenn eine Person bis zum 25. Lebensjahr (1958 galt noch: bis zum vollendeten 22. Lebensjahr) weder der Schweizer Vertretung gemeldet noch im schweizerischen Personenstandsregister eingetragen wurde, verliert diese die Schweizer Staatsangehörigkeit. Das war bei Ruben Kunz 1980 der Fall, da wurde dieser 22.

Danach hätte er theoretisch noch innerhalb von zehn Jahren ein Gesuch um Wiedereinbürgerung stellen können. Auch diese Möglichkeit hat er verpasst – er nahm ja an, er sei ein Schweizer. So bleibt Dylan Kunz› Vater nur noch eine einzige Möglichkeit, sich wiedereinbürgern zu lassen: Indem er während drei Jahren fix in der Schweiz leben würde. Doch das ist hypothetisch. «Für viele von uns, die in Argentinien leben, ist das nicht nur finanziell unmöglich, sondern auch, weil es aufenthaltsrechtlich schwierig wäre, überhaupt in der Schweiz arbeiten zu können», sagt Sohn Dylan.





Wenn die Kette unterbrochen ist

Und so bleibt nicht nur Dylans Vater der Schweizer Pass verwehrt, sondern auch ihm sowie seinen künftigen Nachkommen. «Hier gibt es eine Kettenabhängigkeit», sagt Bürgerrechts Spezialistin Barbara von Rütte. Sei die Kette einmal unterbrochen, werde es zunehmend schwierig, das Schweizer Bürgerrecht zurückzuverlangen. «Je näher dran am Verlust, desto wahrscheinlicher ist es, die Staatsbürgerschaft wiederzuerlangen.»

So wie Ruben und Dylan Kunz muss es in den letzten Jahrzehnten Tausenden von Nachkommen von Schweizer Emigrant:innen ergangen sein. «Das Schweizer Bürgerrecht ist sehr stark vom Prinzip des Ius Sanguinis geprägt», sagt von Rütte. Das Bürgerrecht wird also durch Abstammung weitergegeben, der Geburtsort spielt dabei keine Rolle. «Das Gesetz sieht vor, dass man über die Generationen hinweg, wenn man denn diese Anmeldung schafft, das Schweizer Bürgerrecht weitergeben kann», so die Bürgerrechtsexpertin.



Eine grosse Zahl von Nachkommen von Schweizer Emigranten beurteilt die Voraussetzungen, das Schweizer Bürgerrecht weiterzugeben, als zu streng. Und deshalb hat ein Kollektiv rund um Dylan Kunz eine Petition mit Unterschriften von rund 110 Schweizern im Ausland sowie 11’500 Nachkommen von Schweizer Ausgewanderten lanciert. Sie wurde im Juli 2024 zuhanden der Bundesversammlung eingereicht.



«Wir Nachkommen werden diskriminiert»

«Wir fordern die Bundesversammlung auf, das Schweizer Bürgerrecht zu überprüfen und zu reformieren, damit die Nachkommen der Auslandschweizer inkl. 5. Vorfahrengeneration, die Staatsangehörigkeit leichter erwerben können. Diese Reform soll die Vereinfachung der Verfahren und geringere bürokratische Anforderungen einschließen», heisst es im Petitionstext. Das Schweizer Bürgerrecht diskriminiere die Nachkommen von Auslandschweizern durch spezifische Beschränkungen für die Beibehaltung der Staatsangehörigkeit, heisst es weiter.

«Die Schweiz war bis ins frühe zwanzigste Jahrhundert ein Auswanderungsland», sagt von Rütte. Deshalb gäbe es heute viele Auslandschweizer, die in der fünften, sechsten Generation im Ausland leben. Viele von ihnen hätten aus verschiedenen Gründen die Staatsbürgerschaft der Schweiz verloren. Viele hätten sie jedoch auch behalten und an ihre Familienangehörigen weitergeben können.



Die Frage stellt sich, ob es denn so schwierig ist, sich bis zum 25. Lebensjahr bei einer Botschaft oder einem Konsulat zu melden. «Es ist ein Problem, das nicht aktuell, sondern historisch bedingt ist», sagt Eduardo Puibusque. Er hat die Petition im Namen der Gruppe «Nacionalidad Suiza Para Descendientes eingereicht.

Natürlich seien die Mitteilungen heute schnell und die Informationen kämen auch schnell an, aber das sei nicht immer so gewesen.


Viele verloren das Bürgerrecht aus Unwissen

«Man muss bedenken, dass die meisten Schweizer Emigranten nicht in den Städten lebten, sondern sich auf dem Land niederließen.» Argentinien ist ein riesiges Land mit grossen Entfernungen und «noch heute ist es schwierig, Argentinien zu durchreisen.»

Die Unkenntnis, verursacht durch schlechten Zugang zu Informationsquellen, führte über viele Jahre zum Verlust der Schweizer Staatsbürgerschaft «und das geschah nicht nur in ländlichen Gebieten», sagt Puibusque. Er spricht dabei unter anderem die verschiedenen Gesetzesänderungen an, die über die Jahrzehnte hinweg verabschiedet wurden.

Auch er musste sich die Schweizer Staatsbürgerschaft zurückerkämpfen. Seine Mutter verlor es bei der Heirat mit einem argentinischen Staatsangehörigen in den 1940er Jahren.



Puibusque aber hatte Glück und profitierte von einer Übergangsbestimmung des Schweizer Bürgerrechts, das ihm und seiner Schwester erlaubte, den Schweizer Pass zurückzuerlangen. Seine drei Kinder und sechs Enkelkinder haben aber keinen Zugang mehr zur Schweizer Staatsbürgerschaft.

«Als mein Status als Schweizer Bürger endlich anerkannt wurde, hatten meine drei Kinder bereits die ‹willkürlich› festgelegte Altersgrenze überschritten», sagt er. Der Zugang zum Schweizer Bürgerrecht kann nur noch unter – für viele Nachkommen – erschwerten Bedingungen zurückerlangt werden.



Die Petition fordert, dass dieser Umstand geändert wird: Die Wiedereinbürgerung – im Idealfall inklusive der fünften Generation Blutsverwandtschaft – der Schweizer Nachkommen im Ausland soll ohne Hürden, wie etwa Alter oder finanzielle Voraussetzung, ermöglicht werden.

«Früher gab es mehr Übergangsbestimmungen, die den Wiedererwerb der Schweizer Staatsbürgerschaft erleichtert haben», sagt von Rütte. Diese betrafen vorrangig alle Schweizer, die das Bürgerrecht wegen der Geschlechterdiskriminierung verloren haben.

Diese Bestimmungen seien unübersichtlich geworden, sodass man sie 2017 konsolidiert und zusammengefasst habe. «Dies auch mit dem Gedanken, dass sich die meisten Fälle, die davon betroffen waren, mit der Zeit erledigt haben sollten.»

Doch dies scheint nicht der Fall zu sein: «Wir sind Onkel, Tanten, Söhne, Töchter, Enkelkinder», sagt Kunz. Sie alle haben das Schweizer Bürgerrecht verloren oder verwirkt. «Wir wollen keinen Nutzen aus der Wiedereinbürgerung ziehen, es geht um unsere Identität und die Verbundenheit zu unserem Heimatland.»


Freitag, 27. Dezember 2024

Der magnetische Nordpol verändert seine Position – „Größte Verlangsamung, die wir je erlebt haben“

Die Erde besitzt zwei Nordpole: Einer davon ist der geografische Nordpol, ein fixer Punkt, an dem die Rotationsachse der Erde die Oberfläche berührt. Der andere ist der magnetische Nordpol, der durch Prozesse im Erdinneren entsteht und nicht an einen festen Ort gebunden ist.

Dieser Nordpol wandert über die Erde – jedes Jahr einige Kilometer weit. Jetzt hat eine Organisation festgelegt, wo sich der magnetische Nordpol auf der Erde derzeit befindet. Im äußeren Erdkern bewegen sich geschmolzene Metalle, die leitfähig sind und durch die Rotation der Erde ständig in Bewegung gehalten werden. Diese Bewegung erzeugt elektrische Ströme, die ein Magnetfeld mit zwei Polen – dem magnetischen Nord- und Südpol – erzeugen. Diese beiden Pole wandern über die Erdoberfläche und verschieben sich jährlich. Magnetischer Nordpol wandert über die Erde und verändert seine Position Die genaue Position des magnetischen Nordpols ist von großer Bedeutung, da diese Daten unter anderem für Navigationssysteme verwendet werden.

Aus diesem Grund aktualisieren die US-Wetterbehörde NOAA und der British Geological Survey (BGS) regelmäßig ihre magnetischen Modelle der Erde. Am 17. Dezember wurde das „World Magnetic Model 2025“ (WMM) veröffentlicht, das bis 2029 gültig sein soll.

William Brown vom BGS erläutert in einer Mitteilung: „Das derzeitige Verhalten des magnetischen Nordpols ist etwas, das wir nie zuvor beobachtet haben.“ Er fügt hinzu: „Seit 1500 bewegt sich der magnetische Nordpol langsam um Kanada herum, aber in den vergangenen 20 Jahren beschleunigte er in Richtung Sibirien.“

Der Forscher betont: „Bis vor fünf Jahren hat er seine Geschwindigkeit erhöht und hat dann plötzlich abgebremst von 50 zu 35 Kilometern pro Jahr. Das ist die größte Verlangsamung, die wir je erlebt haben.“ Veränderung des magnetischen Nordpols hat Auswirkungen auf Reisende Die Veränderung der Position des magnetischen Nordpols wird Auswirkungen auf Reisende haben, warnt der BGS. Um die Auswirkungen zu verdeutlichen, verwendet der BGS eine Weihnachtsmann-Analogie: „Stellen Sie sich vor, jemand wollte mit dem Schlitten von einem Schornstein in Südafrika zu einem schneebedeckten Dach im Vereinigten Königreich fahren, eine Reise von rund 8500 km.

Wenn er den bisherigen WMM verwendet und nur ein Grad vom Kurs abweicht, würde er etwa 150 km von seinem Ziel entfernt landen. Bei einer Fehlermarge von nur wenigen Zentimetern zwischen den Schornsteinen könnte dies zu erheblichen Problemen führen“, heißt es in der Mitteilung.

Bei Zugvögeln wie dem Rotkehlchen und bei Tauben sitzt der Magnetsinn in den Augen. Die Tiere können das Magnetfeld sehen – und zwar über spezielle Rezeptoren für Licht in der Netzhaut. So orientieren sie sich auf ihren langen Flügen. Experimente zeigen: Haben Tauben einen Stabmagnet im Nacken, sind sie orientierungslos. Was dafür spricht, dass sie mit dem Magnetfeld navigieren.                                                          Bei Regenbogenforellen fanden Biologen bestimmte Proteine in den Körperzellen. Ihre Vermutung: Die „Kompass-Zellen“ wandeln magnetische Informationen in Nervenreize um und geben so Richtungs-Impulse. Voll auf Empfang! In den Antennen von Ameisen fanden Forscher aus Brasilien magnetische Eisenminerale. Wohl mit deren Hilfe finden die Tiere über das Magnetfeld den Weg zurück zu ihren Nestern.

Die Gehirnwellen des Menschen reagieren auf Magnetfelder – das zumindest lässt eine Studie aus dem Jahr 2019 eines amerikanischen und japanischen Forscherteams vermuten. Der Versuch: Die Forscher setzten 34 Proband:innen bei Dunkelheit in eine Kammer. Darin erzeugten sie ein künstliches Magnetfeld. Mit Elektroden zeichneten sie die Gehirnwellen der Teilnehmenden auf. Das Ergebnis: Veränderten die Forscher:innen das Magnetfeld, veränderten sich auch die Gehirnwellen. Daraus schloss das Team, dass Menschen zumindest unbewusst das Magnetfeld wahrnehmen.

Das Magnetfeld der Erde war nicht immer konstant. Auch jetzt verändert es sich ständig. Der magnetische Nordpol wandert. Das messen Forscher mit Satelliten. Anhand von Lavagestein rekonstruieren sie, wie das Magnetfeld in der Vergangenheit aussah. Es passiert zwar selten, aber: Die Erde kann sich sogar umpolen – dann wird der Nordpol zum Südpol. Der letzte Polsprung war vor rund 780.000 Jahren.

Das Magnetfeld der Erde hat eine wichtige Aufgabe: Es schützt unseren Planeten vor dem Sonnenwind – das sind hochenergetische Teilchen, die die Sonne aussendet. Das Magnetfeld lenkt sie von der Erde ab. In Polar-Regionen kannst du es sehen, wenn der Sonnenwind auf die Magnetfeldlinien trifft: Dann entstehen bunte Polarlichter.




Samstag, 7. Dezember 2024

Mercosur-Abkommen: Italien und Frankreich wehren sich

Rom - 

Nach Frankreich hat auch Italien Vorbehalte gegen das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den südamerikanischen Mercosur-Staaten. Die Voraussetzungen für das Abkommen seien derzeit nicht gegeben, hieß es vom Amtssitz der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.

Italien sei zur Zustimmung bereit, wenn «angemessene Schutzmaßnahmen und Entschädigungen» für den Agrarsektor berücksichtigt würden. Konkret sollen demnach klare und wirksame Maßnahmen ergriffen werden, um den Bedenken des europäischen Agrarsektors Rechnung zu tragen, hieß es weiter.

Zuvor hatte bereits Frankreichs Präsident Emmanuel Macron seinen Widerstand gegen das Vorhaben betont. Aus dem Élyséepalast hieß es, das Abkommen sei in seiner jetzigen Form inakzeptabel. Auch Macron fürchtet Nachteile für französische Landwirte, die zuletzt Druck auf die Regierung gemacht hatten.

Mit dem Abkommen zwischen der EU und dem Mercosur-Bündnis würde eine der weltweit größten Freihandelszonen mit mehr als 700 Millionen Einwohnern entstehen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird am Freitag in Uruguay erwartet. Dort soll eine endgültige Einigung verkündet werden.
dpa



Von der Leyen boxt Mercosur-Abkommen durch und setzt Amazonas-Regenwald aufs Spiel

Montevideo/Brüssel - 

Fast ein Vierteljahrhundert lang haben die Unterhändler auf beiden Seiten des Atlantiks erbittert um Details gerungen - jetzt soll das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Wirtschaftsbündnis Mercosur endlich abgeschlossen werden.

Bei einem Mercosur-Gipfel in Uruguays Hauptstadt Montevideo wollen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die Präsidenten von Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay heute eine Einigung verkünden. Mit dem Vertrag würde eine der weltweit größten Freihandelszonen mit mehr als 700 Millionen Menschen entstehen.

Was erhofft sich die EU von dem Freihandelsabkommen?

Im Endeffekt geht es um Jobs und Wohlstand. Über einen besseren Zugang zu den Märkten in den Mercosur-Ländern sollen europäische Unternehmen neue Wachstumsmöglichkeiten bekommen. Bislang müssen Importeure von EU-Waren zum Teil sehr hohe Zölle zahlen, die der Wettbewerbsfähigkeit schaden. Auf Autos sind es beispielsweise 35 Prozent, auf Maschinen 14 bis 20 Prozent und auf Chemikalien bis zu 18 Prozent. Die Zölle sollen nun schrittweise abgebaut werden. Am Ende könnten pro Jahr Abgaben in Höhe von mehreren Milliarden Euro eingespart werden.

Was macht den Mercosur für die EU so interessant?

In den vier Mercosur-Ländern leben mehr als 260 Millionen Menschen. Zusammen bilden sie die fünftgrößte Wirtschaftsregion der Welt mit einem jährlichen Bruttoinlandsprodukt von 2,2 Billionen Euro. Im vergangenen Jahr importierten sie aus der EU Waren im Wert von 55,7 Milliarden Euro, in umgekehrter Richtung betrug das Exportvolumen 53,7 Milliarden Euro. Insgesamt könnten nach EU-Angaben 60.500 europäische Unternehmen profitieren.

Werden auch Verbraucher Vorteile haben?

Durch die Liberalisierung des Handels könnten Preise für importierte Produkte aus den Mercosur-Staaten sinken - zum Beispiel für Fleisch, Obst, Soja, Kaffee und Zucker. Zum Schutz der EU-Landwirtschaft sollen bei bestimmten Agrarprodukten die Märkte aber nicht vollständig geöffnet werden. Die Zollerleichterungen würden dort nur für eine bestimmte Liefermenge gelten.

Warum kritisieren Umweltschützer das Freihandelsabkommen?

Sie befürchten, dass die neuen Absatzchancen für landwirtschaftliche Produkte die Umweltzerstörung beispielsweise im Amazonas-Regelwald befeuern könnten. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace geht davon aus, dass die Abholzungsraten in der Mercosur-Region wegen der höheren Importquoten für Rindfleisch in den kommenden sechs Jahren um fünf Prozent pro Jahr steigen werden. Sinkende Zölle auf Pestizide und Kunststoffe könnten demnach die Plastikverschmutzung in Südamerika erhöhen und die Artenvielfalt gefährden.

Was haben die europäischen Bauern gegen den Vertrag mit dem Mercosur?

Die Landwirte in Europa befürchten, im Wettbewerb mit den südamerikanischen Großbauern nicht bestehen zu können. Im Mercosur wird in deutlich größerem Maßstab produziert, was Kostenvorteile mit sich bringt. Die europäischen Bauern beklagen zudem, dass für sie strengere Regeln beispielsweise beim Umweltschutz und bei der Lebensmittelsicherheit gelten als für die südamerikanischen Konkurrenten.

Wie reagieren die EU und die Bundesregierung auf die Kritik?

Sie weisen die meisten Vorwürfe als ungerechtfertigt zurück und betonen, dass die gesamtwirtschaftlichen Vorteile eindeutig überwiegen würden. Zum Thema Pestizideinsatz erklärt etwa das Bundeswirtschaftsministerium, dass auch künftig alle Importe die gesetzlichen Anforderungen der Europäischen Union einhalten müssen. Dies bedeute, dass die in der EU geltenden Höchstwerte für Rückstände nicht überschritten werden dürften. Ganz allgemein gelte, dass nur Produkte, die den umfangreichen europäischen Vorschriften entsprechen, in die EU eingeführt werden dürfen.

Warum ist der Deal für die EU so wichtig?

Der künftige US-Präsident Donald Trump hat bereits vor seinem Amtsantritt neue Zölle angekündigt und damit Ängste vor einer noch protektionistischeren US-Handelspolitik geschürt. Die Europäische Union ist deshalb daran interessiert, ihre Wirtschaftsbeziehungen breiter aufzustellen. Dabei wird auch die Gefahr gesehen, dass sich die Mercosur-Staaten noch deutlich mehr als ohnehin schon China zuwenden, wenn sich die EU nicht stärker dort engagiert. Für eine Reihe von Ländern in der Region wie beispielsweise Brasilien ist China schon jetzt der wichtigste Handelspartner.

EU-Staaten wie Frankreich sind wegen des Protests der Landwirte gegen das Abkommen. Kann es gegen ihren Widerstand in Kraft treten?

Eigentlich nicht. Da das Abkommen neben Handelsabsprachen auch Vereinbarungen zum politischen Dialog und zur Kooperation enthält, müsste es eigentlich allen Mitgliedstaaten zur Ratifizierung vorgelegt werden. Die für die Verhandlungen zuständige EU-Kommission könnte allerdings versuchen, den politischen Teil vom Handelsteil abzusplitten. Der Handelsteil könnte dann per Mehrheitsentscheidung vom Rat der EU-Staaten angenommen werden und müsste nur dem Europäischen Parlament und nicht nationalen Parlamenten zur Zustimmung vorgelegt werden. Unklar ist allerdings, ob ein solches Vorgehen nicht Rechtsrisiken bergen würde.

Wann könnte das Abkommen formell unterzeichnet werden?

Wenn die Verhandlungen an diesem Freitag abgeschlossen werden, müsste der ausgehandelte Text noch einer juristischen Prüfung unterzogen und in alle Sprachen der Vertragsstaaten übersetzt werden. Mit einer Unterzeichnung wird deswegen erst in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres gerechnet.
dpa