Donnerstag, 15. Mai 2014

15 Gründe gegen Nachrichten

Die Nachrichten verfolgen ist eine üble Sache. Der Schweizer Autor und Unternehmer Rolf Dobelli schreibt in seinem Papier „Avoiding News“ von den 15 Gründen, sich keine Nachrichten mehr anzutun. Unsere Gehirne, sagt er, sind dieselben, mit denen die Menschen vor ein paartausend Jahren in Höhlen hockten – und einfach nicht für die Art und Menge an News ausgerichtet,  mit denen wir bombardiert werden.
  1. Nachrichten führen uns systematisch in die Irre: es gibt viel weniger Flugzeugabstürze und Hai-Angriffe, als uns die Medien glauben lassen. Sie tun dies, weil sich Dramatisches und Spektakuläres so viel besser verkauft. Was liest Du eher: wenn ein Star Krebs bekommt … oder ihn nach drei Jahren besiegt hat? So bekommen wir ein viel zu einseitig negatives Bild von der Welt, unser Denken wird zunehmend von Angst geprägt.
  2. Nachrichten sind unwichtig: haben sie Dir je dabei geholfen, eine bessere Entscheidung zu treffen? Oder Dich nur für ein paar Minuten auf gute Weise unterhalten? Oder haben sie Dich überwiegend gestresst? Selbst wenn Du mal etwas erfahren hast, das Dich betrifft und Dir weiterhilft … wie viele Berge Müll musstest Du Dir für diesen Krümel Erkenntnis reinziehen?
  3. Nachrichten verhindern, dass wir die Welt verstehen: sie sind meist aus dem Zusammenhang gerissene Fetzen Wahrheit oder Unwahrheit. Die großen, die wichtigen Geschehnisse und Zusammenhänge bleiben ihnen verborgen – und uns damit auch, wenn wir uns auf die Nachrichten verlassen.
  4. Nachrichten sind Gift für unsere Körper: sie aktivieren permanent unser limbisches Gehirn, lassen unsere Körper Cortisol ausschütten und stören dadurch unser Immunsystem. Die Folgen: Dauerstress, Nervosität, Anfälligkeit für Infekte, Verdauungsstörungen, gestörtes Wachstum von Zellen, Knochen und Haaren.
  5. Nachrichten führen zu massiven kognitiven Störungen: wir interpretieren, überhören und überbewerten alles, was wir wahrnehmen, so, dass es zu unserem Weltbild passt. Und halten es dann für die reine Wahrheit. Außerdem neigt das Gehirn dazu, Dinge für wahr zu halten, wenn sie begründet werden – ganz egal, wie sinnvoll oder sinnlos diese Gründe sind. Je mehr Nachrichten wir aufnehmen, umso mehr verhärten sich unsere falschen Ansichten. Wie viele Fehlentscheidungen uns das wohl schon eingebracht hat?
  6. Nachrichten verhindern, dass wir selbst denken: wie einen Burger schlingen wir den ganzen Mist runter, ohne ihn selbst zu kauen. Ständig strömt neuer Fraß auf uns ein. Wir haben keine Chance mehr, das alles bewusst zu kosten und zu verdauen (darüber nachzudenken und es zu verarbeiten). Daher können wir uns auch die meisten Schlagzeilen ein paar Wochen oder Monate später nicht mehr erinnern.
  7. Nachrichten fressen unsere Gehirne auf: wenn wir Nachrichten lesen, werden wie geschrieben Hormone ausgeschüttet. Je mehr wir das Gehirn mit Nachrichten stimulieren, umso mehr neue braucht es, um stimuliert zu sein. Es verändert sich physisch, wird nach und nach unfähiger, sich auf etwas zu konzentrieren, das länger ist als ein paar Zeilen, aber eigentlich viel wichtiger für uns wäre.
  8. Nachrichten sind teuer: wenn Zeit das Kostbarste im Leben ist … wie teuer sind Nachrichten dann? Hier mal fünf Minuten, da 15 und hier eine halbe Stunde in der Zeitung lesen, täglich. Da kommt ganz unschön was zusammen. Was könntest Du mit dieser Zeit anfangen? Wenn Du einen öden Job hast und Dir die Zeit mit bild.de erträglich machen willst … wie viel mehr hättest Du davon, dieselbe Zeit in einen Jobwechsel zu investieren oder darin, Dir ein zweites Standbein aufzubauen, um irgendwann von Deiner Leidenschaft leben zu können?
  9. Nachrichten schaffen Berühmtheiten, die nichts leisten: was hat Lady Gaga schon zur Welt beigetragen, dass sie so viel Platz in den Medien bekommt? Und was macht das mit uns und unseren Kindern, wenn wir sehen, dass anscheinend jeder Dödel berühmt und reich werden kann, ohne dafür etwas sinnvolles tun zu müssen?
  10. Nachrichten sind von Journalisten gemacht: Journalisten sind eine Berufsgruppe wie jede andere. Ein großer Teil von ihnen arbeitet bestenfalls durchschnittlich. Das heißt: er versucht, seine Arbeit mit möglichst wenig Aufwand vom Chef abgenickt zu bekommen. Zudem ist das meiste auch nur irgendwo anders abgeschrieben, von einem, der’s auch nur abgeschrieben hat (so wie dieser Text hier, den Du gerade liest, aber hey, zumindest gebe ich mir Mühe). Du kennst das Spiel „Stille Post“, oder?
  11. Nachrichten enthalten oft falsche Fakten und immer falsche Prognosen: Fakten zu überprüfen, bevor man sie druckt, ist teuer. Oft zu teuer. Deswegen sind viele Nachrichten nichts als Geschichten. Billiges Füllmaterial. Naja, und die Zukunftsprognosen sind meistens auch nicht besser als die von der dicken Frau mit der Glaskugel auf dem Jahrmarkt und der behaarten Warze am Kinn.
  12. Nachrichten manipulieren uns: wenn wir jemandem gegenüberstehen und seine Körpersprache lesen können, fällt es uns viel leichter, eine Lüge zu erkennen, als wenn wir einen genauso gelogenen Satz unverrückbar schwarz auf weiß vor unseren Augen haben. Wir können nie wissen, warum dort steht, was dort steht – gab es vielleicht Druck von Lobbys, Geld von Werbekunden und PR-Abteilungen oder andere gegenseitige Gefälligkeiten?
  13. Nachrichten machen uns passiv: die Höhlenmenschen konnten selbst etwas unternehmen, wenn sie von Ereignissen hörten – schließlich lebten sie alle in kleinen Gruppen von höchstens 150 Leuten. Heute lesen wir von Ereignissen auf der ganzen Welt und müssen uns eingestehen, dass wir das meiste davon kein bisschen beeinflussen können. Nachrichten lenken unseren Blick auf genau diese Dinge, die nicht in unserer Macht stehen, und weg von denen, die wir tatsächlich in die Hände nehmen können. Das macht uns passiv und verbittert.
  14. Nachrichten machen uns stumpf: weil es überall nackte Ärsche und Titten und gratis Pornos für alle gibt, werden wir immer gestörter in unserem Verhältnis zu Sex. Mit Nachrichten ist es ähnlich: wen erregt die hundertste Flut mit 100.000 Toten schon so sehr wie die erste? Wen stört es beim tausendsten Lesen schon noch so sehr wie beim ersten Mal, dass die Erde sich erwärmt und sämtliche Pflanzen- und Tierarten aussterben? Viel sensibler würde es uns doch machen, würden wir uns einmal ernsthaft mit einem solchen Thema auseinandersetzen.
  15. Nachrichten töten unsere Kreativität: … weil Kreativität Konzentration und Vertiefung erfordert, die Nachrichten unseren Geist aber platt machen wie einen überfahrenen Fuchs. Und weil sie sich im Grunde ständig wiederholen, der kreative Geist aber neuen, frischen Input braucht.
Am schlimmsten finde ich: Nachrichten machen süchtig. Und jede Sucht schränkt uns in unserer Freiheit ein und nimmt uns Macht über unser Leben.
Es fällt mir irre schwer, den einschlägigen Seiten auch nur für einen Tag fern zu bleiben. Da überkommt mich ein ähnliches Gefühl wie damals, als ich mit dem Rauchen aufgehört habe. Es zieht an mir, juckt an meinen Fingern und verursacht eine Art heftigen Hunger im Kopf. Hunger nach etwas, das meistens wie nichts mit uns zu tun hat und uns so gut wie nie hilft, dafür aber massiv schädigen kann.
Du glaubst, Du bist nicht süchtig?
Dann versuch doch mal, einen Tag ohne Nachrichten auszukommen … und dann eine ganze Woche … müsste doch leicht möglich sein, wenn Du nicht abhängig bist.

Wie man die Nachrichten-Sucht überwinden kann

Fünf Schritte sind es aus der Sucht.
Im ersten Schritt müssen wir uns eingestehen, dass wir süchtig nach Nachrichten sind.
Im zweiten erkennen wir die Probleme an, die diese Sucht mit sich bringt.
Im dritten fragen wir: „Warum bin ich süchtig danach geworden – welche meiner Bedürfnisse erfüllen die Nachrichten?“
Bei mir:
  • Langeweile und Neugier, die gestillt werden wollen.
  • Ablenkung von einer anstrengenden Tätigkeit wie dem Schreiben.
  • Das Gefühl, irgendwie zur Welt dazuzugehören, wenn ich schon keinen normalen Job mit Kollegen und kaum habe.
  • Das Gefühl, dass es mir besser geht als vielen Schicksalsgeplagten da draußen.
  • Das Gefühl, nichts Wichtiges zu verpassen.
Im vierten Schritt suchen wir nach etwas, das unser Bedürfnis genauso gut erfüllt, uns aber viel besser bekommt. Ohne Ersatz haben wir schlechte Karten gegen die Sucht.
Bei mir:
  • Ein Buch lesen, wenn mir langweilig ist oder ich etwas Neues lernen möchte.
  • Einen Tee zubereiten und aus dem Fenster schauen, wenn mir das weiße Blatt Papier zu sehr zu schaffen macht.
  • Einen Freund anrufen oder ein paar Mails schreiben, wenn ich Verbundenheit suche. Oder im Park spazieren und mich mit der Natur verbinden.
  • Dankbar sein für alles was ich habe. Dazu brauche ich keine Schicksalsschläge anderer Leute.
  • Mich darauf verlassen, dass die wirklich wichtigen Informationen ohnehin zu einem durchdringen.
Im fünften Schritt fangen wir ganz klein an – mit einer nachrichtenfreien Stunde, dann zwei Stunden, einem Tag, einer Woche, einem Monat und so weiter. Überkommt uns der Drang, greifen wir zu den Alternativen aus Schritt 4.
Ich sperre jetzt mal meine liebsten Nachrichten-Dealer in meinem Browser. Bitte gebt mir Bescheid, wenn ich zum Bundeskanzler gewählt wurde oder die Aliens hier sind.

Update: 2 Monate später

Den obigen Text habe ich vor  zwei oder drei Monaten geschrieben. Seitdem bin ich clean. Und der Entzug war viel leichter als ich befürchtete.
Nur die ersten Tage waren erschreckend. Ich habe mich oft erwischt, wie ich ohne nachzudenken, ohne bewusste Entscheidung meine vertrauten Nachrichten-Seiten angesteuert habe, immer wieder. Das verging allerdings schnell. Ich habe mir dann immer wieder bewusst gemacht, dass mir meine Nachrichtensucht schadet, und mir dann eine Belohnung / Ablenkung meiner Wahl gegönnt (Tee oder Kaffee, Spaziergang, Telefonieren mit einem Freund, …).
Es kam einige Male vor, dass ich in Gesprächen nachhaken musste, weil ich ja meinen Nachrichtenstoff nicht mehr direkt vom Dealer bekam. Aber auch das hat sich als wenig peinlich entpuppt.
Die Meinungen meiner Mitmenschen über meine Entscheidung gingen auseinander. Aber das ist ja mit allem so, was man tut oder nicht tut.
Und nun das Wichtigste: es geht mir viel besser.  Statt mich von der Welt abgekapselt zu fühlen, fühle ich mich verbundener mit ihr. Ich habe außerdem mehr Zeit ohne sinnlose Sorgen und mehr Platz im Kopf für wertvolle Gedanken, die mir helfen statt mich runterzuziehen. Ich kann mich mehr konzentrieren. Das erfrischt und befreit ungemein.

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